TU intern - Juni 1998 - Forschung

So nah und doch so unbekannt - tschechische Literatur

Karlsbrücke und Hradcin sind vielen bekannt. Die tschechische Literatur dagegen wird in Deutschland kaum wahrgenommen
Die tschechische Literatur mit ihrer jahrhundertelangen Tradition existiert in unserer nächsten Nachbarschaft. Trotzdem wird sie in Deutschland kaum wahrgenommen. Literaturwissenschaftler aus Berlin und Prag, Potsdam und New Haven haben sich zusammengetan, um das zu ändern. Sie wollen dem Leser eine repräsentative Auswahl von Übersetzungen aus dem Tschechischen vorstellen.

Dreiunddreißig silberne Lerchen, die über die Dächer fliegen … Dieses poetische Bild aus einem tschechischen Zungenbrecher wählten sie als Motto für die ”Tschechische Bibliothek in 33 Bänden". Ein Motto, wie geschaffen für dieses Editionsprojekt, dessen politische Dimension die Herausgeber durchaus beabsichtigen: Deutschlands längste Grenze ist die zur Tschechischen Republik. Was könnte die deutsch-tschechische Verständigung mehr beflügeln als der Kulturtransfer. Dreiunddreißig Bücher, … dreiunddreißig silberne Lerchen …

Editiert wird die ”Tschechische Bibliothek" an der Technischen Universität Berlin. Die Herausgeber sind Prof. Dr. Hans Dieter Zimmermann von der TU (Institut für Deutsche Philologie, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft), die gebürtigen Prager Professoren Peter Demetz und Peter Kosta sowie Jiri Gruca, Schriftsteller und tschechischer Diplomat, und Eckhard Thiele, Berliner Übersetzer und Redakteur der Reihe.

Vier der 33 Bände sind der Dichtung gewidmet. Ausgewählt werden sie von dem großen mährischen Lyriker und Übersetzer Ludvik Kundera. Von mittelalterlichen, geistlichen Gesängen führt der Bogen zu den Romantikern und schließlich in unser Jahrhundert.

Die 22 Bände der zweiten Abteilung sind vor allem den Erzählern vorbehalten. Den Anfang aber macht ein Band mit Prosa des romantischen Dichters Mácha. Es folgen die großen Erzähler des l9. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende, Novellen des Fin de sciècle, sowie Erzähler der Moderne. Die Abteilung wird beschlossen mit Prosa aus den Nachkriegsjahrzehnten und Einaktern von Vaclav Havel, Pavel Kohout und Josef Topol.

Die 7 Bände der dritten Abteilung bieten Einblicke in das tschechische Geistesleben. Hier finden sich Schriften tschechischer Philosophen: von Komensky´ (Comenius) bis Palacky´, von Masaryk bis Patocka, ferner Schriften über Literatur und Kunst, Texte von Architekten und bildenden Künstlern, Briefe berühmter tschechischer Musiker wie Smetana, Dvorák und Janácek.

Einige Werke werden für die Tschechische Bibliothek erstmals ins Deutsche übersetzt, zum Teil können vergriffene, schwer zugängliche Übersetzungen verwendet werden. Drei bis vier Bände sollen jährlich in der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart erscheinen, die ersten im Frühjahr 1999, die letzten im Jahre 2008. Die Tschechische Bibliothek steht unter der Schirmherrschaft der Präsidenten Vaclav Havel und Roman Herzog. Gefördert wird das Projekt von der Robert Bosch Stiftung Stuttgart, die bereits die ”Polnische Bibliothek" unterstützt hatte.

H. D. Zimmermann


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