TU intern - Juni 1998 - Alumni

Hilde Léon

Auseinandersetzung über den Raum

Berliner Autofahrer sind ihr schon öfter begegnet, genauer gesagt, ihrer Arbeit. Wenn der Blick von der Stadtautobahn bei Halensee aus auf die ”gläserne Zitrone" fällt, jenem Bürohaus, das mit seinen charakteristischen, leicht gerundeten, gläsernen Fassaden hoch über der Straße aufragt, dann ist man mit einem der Werke konfrontiert, die Hilde Léon zusammen mit Konrad Wohlhage entworfen hat.

Gebäude unterschiedlichster Art haben sie geplant, sei es ein Oberstufenzentrum in Köpenick, Bürobauten in Berlin und Hamburg, die Indische Botschaft und die Bremer Landesvertretung in Berlin, oder auch die René-Sintenis Grundschule in Reinickendorf, für die sie 1994 den Berliner Architekturpreis bekam. Überhaupt, so erklärt Hilde Léon, erhalte sie die meisten Aufträge über Wettbewerbe. Das bringe zwar mehr Streß, habe aber auch den Vorteil, daß sich in diesem Fall der Bauherr bewußt für das Konzept entschieden habe. Zu Ende ist die Arbeit mit einem Wettbewerbssieg allerdings noch lange nicht. Vielmehr beginnt dann ein Prozeß des stetigen Differenzierens: Dem Vorentwurf des Projektes folgt der Entwurf, Ausführung, Durchführung… die Planung geht immer mehr ins Detail, bis hin zu Fenstergriffen und Fußbodenbelägen. Wenn's schnell geht, dauert es zwei Jahre, bis ein Projekt abgeschlossen ist. Es können aber auch schon einmal sieben werden.

Hilde Léon ist überzeugte Architektin, besonders fasziniert von der Vielseitigkeit ihres Berufes. Architekten müssen umfassend planen, erklärt sie, ”unter Berücksichtigung aller möglichen Dinge, wie stadtplanerischen Aspekten, den Wünschen der späteren Nutzer, natürlich denen der Bauherren und der Bauaufsicht. Aber auch die Regeln der Konstruktion müssen eingehalten werden. ”Es gibt wenig Berufe, die so ganzheitlich arbeiten". Diese Vielseitigkeit muß sie bereits zu Schulzeiten begeistert haben, denn schon damals hatte sie das Ziel, Architektin zu werden. ”Ich hatte die vielleicht naive Vorstellung, daß man da keine Routinearbeit machen muß", sagt sie und ist auch heute noch dieser Meinung. Daß der Architektenberuf auch ein harter Job ist, wußte sie damals noch nicht, ”vielleicht hätte ich es dann nicht gemacht".

Doch zunächst ging die gebürtige Düsseldorferin nach Berlin - ”weil die Stadt mich gereizt hat" - und studierte von 1972 bis 1978 Architektur an der TU. Der Hochschule und ihren damaligen Lehrern steht sie eher kritisch gegenüber. Nicht allen Professoren des Fachbereichs will sie Engagement und Fähigkeiten zugestehen. Doch es gab auch andere Beispiele. So bezeichnet sie als eine ihrer wichtigsten Erfahrungen die Teilnahme an einem Streikseminar bei Prof. Jonas Geist, das in einer Veranstaltung und der Veröffentlichung einer Brochüre resultierte. Thema war Hannes Meyer, Leiter des Bauhauses in der Zeit zwischen Gropius und Mies-van-der-Rohe. 1979 ging Hilde Léon mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Venedig. Dort, wo an der Uni Geschichte und Theorie den gleichen Stellenwert hatten wie der Entwurf ”habe ich eigentlich zum ersten mal kapiert, was Architektur ist" sagt Hilde Léon. ”Architektur ist ein intellektuelles Fach, ist Auseinandersetzung über den Raum". Diese philosophische Betrachtungsweise hatte ihr an der TU oft gefehlt.

Trotzdem kehrte sie nach Berlin zurück, wo sie zuerst gemeinsam mit Konrad Wohlhage und Karl Schwarz von der TU, der Idee und Konzept lieferte, die Ausstellung ”Die Zukunft der Metropole" organisierte. 1987 gründete sie, wieder zusammen mit Konrad Wohlhage, ein Architekturbüro. Dieses hat sich mittlerweile stark vergrößert. Vor einem halben Jahr ist mit Siegfried Wernik ein dritter Partner in das Büro im Dachgeschoß in Charlottenburg eingezogen. Insgesamt arbeiten dort etwa 20 Mitarbeiter. ”Viele kommen von der HdK"sagt Hilde Léon. Noten sind ihr bei der Auswahl eines geeigneten Bewerbers zunächst einmal völlig egal. Wichtig seien die Arbeitsmappen, welche Projekte die Bewerber entwickelt und was sie mit ihrer Zeit gemacht haben. Sie selbst hat neben ihrer Arbeit als Architektin mittlerweile einen Sitz im Gestaltungsbeirat des Stadtentwicklungssenators und eine Gastprofessur an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) in Hamburg. Ihr Tip für die Studenten? Nicht ans Studium zu gehen um erfolgreich zu sein, sondern mit Engagement und Interesse seine eigenen Ziele verfolgen und das tun, wozu man Lust hat, denn ”nur wenn man mit Leib und Seele an einer Sache hängt, dann kann man auch gut sein".

Ursula Resch-Esser


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