TU intern - Mai 1998 - Studium

Studieren macht Spaß …?

… macht Streß, macht Angst, macht Sinn!

So entspannend ist studieren nicht immer - oft gehören Probleme, Frust und ein Gefühl der Sinnlosigkeit zum Studienalltag

Welcher Studierende kennt nicht die Situation: Semesterbeginn! Mit frischem Schwung wird begonnen, jede Veranstaltung besucht, Literatur besorgt, Hefter werden angelegt. In der dritten Woche läßt die Motivation nach, die Aufgaben bleiben unerledigt, dann beginnt der Kampf zwischen Bett und Hörsaal. Am Ende war's ein Semester voller Frust.

Welcher Professor kennt nicht die Situation: Vorlesung und Übung zu Anfang überlaufen, Hörsaal zu klein, Übung überfüllt. Nach acht Wochen noch ein Drittel, schließlich nur noch 10% präsent. Niemand hat sich abgemeldet, keiner Kritik geübt, keiner sich beklagt. Wo sind die Studierenden geblieben, warum kommen sie nicht mehr? Die Lehrveranstaltung endet im Frust.

Viele Studierende verlieren beim Studieren die Motivation. Vielen Professoren gelingt es offenbar nicht, Motivation und Sinn am Studieren "rüberzubringen". Beide Seiten geben sich die Schuld daran.

IN EIN SCHWARZES LOCH GEFALLEN

"Ich habe meine Doktorarbeit mit großem Elan begannen. Nun bin ich in ein schwarzes Loch gefallen", sagt A. und blickt bedrückt zu Boden. Sie sitzt in einer Runde von 20 Studierenden, die sich zu einem Seminar der Allgemeinen Studienberatung angemeldet haben. Sie sprechen über ihre Motive, die sie in diese Veranstaltung mit dem merkwürdigen Titel "Tiger, Büffel und mehr" geführt haben. Was veranlaßt diese Studierenden aus allen Fachbereichen, die meisten aus den harten Ingenieurstudiengängen, die teilweise sehr erfolgreich studiert haben (zwei Doktoranden sind darunter), an diesem Angebot der Allgemeinen Studienberatung teilzunehmen?

Im Wintersemester 96/97 startete ich ein Seminar, das den Zusatz "wie ich mit Energie studieren und leben kann" trägt, und das sich an alle Studierende wendet, die mehr aus ihrem Studium und ihrem Leben machen wollen. Aufgrund meiner Erfahrung aus vielen Einzelberatungen und der langjährigen Mitarbeit in der Kommission für Lehre und Studium der TU hatte ich ein Konzept für eine Veranstaltung entwickelt, in der Dinge angesprochen werden, die im Studium nicht vorkommen, die im Leben der Studierenden aber eine wichtige Rolle spielen. Zentrale Fragen:" Wie kriege ich alles auf die Reihe?", "Wo liegt der Sinn des Ganzen?"

Die große Mehrheit der Studierenden beginnt mit Eifer zu studieren: schnell soll es gehen und in einen Beruf soll es münden. Wenn ein schneller Abschluß nicht in Sicht ist, wenn am Ende der jahrelangen Anstrengung der interessante Arbeitsplatz als verlockender Neubeginn nicht winkt, fragen sich viele: "Wozu mach' ich das?" Viele finden keine befriedigende Antwort darauf.

"Nur 15% meiner promovierten ehemaligen Kommilitonen haben eine Stelle bekommen", sagt A. Ein anderer Teilnehmer bedauert, den damals angebotenen Ausbildungsplatz abgelehnt zu haben.

Für diejenigen, die nicht abbrechen, führt das Studium oft in einen scheinbar unauflöslichen Widerspruch zu ihrem "übrigen" Leben, der durch mehr Studium nicht aufhebbar ist, sondern sich verschärft, gerade dann, wenn am Ende ein erfolgreicher Abschluß steht. Denn durch den enormen Zeit- und Arbeitsaufwand für einen guten Studienabschluß bleiben alle anderen Dinge im Leben, Job, Beziehung, Familie, Freunde, Hobby, Gesundheit usw. zumindest vorübergehend auf der Strecke.

Wenn Motivation, Ziel und Sinn eines Studiums verloren gehen, dann wird Studieren das Problem. Doch dieses Problem ist nicht Inhalt der Lehre. Gutes Zureden, patente Ratschläge bleiben vergeblich, wie Professoren aus Erfahrung wissen, obwohl sie sie immer wieder anbieten.

Eine Erkenntnis der Streßforschung ist es, daß Sinnlosigkeitsgefühle mit zu den gravierendsten inneren Streßfaktoren zählen. Wenn der Mensch keinen Sinn mehr in seinem Tun erkennt, fehlt ihm die entscheidende Motivation für sein Handeln.

Angesichts der konkreten Studien- und Berufssituation sind auch die Leistungsfähigen und -willigen unter den Studierenden dagegen nicht gefeit. Verschärft wird dieses Gefühl durch eine unter Studierenden verbreitete Zukunftsangst. Sie war die häufigste Antwort der Seminarteilnehmer auf die Frage nach den besonderen Streßfaktoren eines Studiums.

Da der innere Leistungs- und Erfolgswunsch bestehen bleibt, das Fehlen von Sinn und Motivation den Aktivitätsimpuls aber lähmt, sind diese Gefühle zusätzlich von einem ausgeprägten "schlechten Gewissen" begleitet, das durch die Reaktionen der Umgebung verstärkt wird. Ein schlechtes Gewissen setzt jedoch nicht mehr Energie frei, sondern ist einer der größten "Energiefresser".

Hier setzt das Seminar an. Es bietet Hilfe, von der Basis aus Ordnung in die undurchsichtige Situation von hohem Anspruch und fehlender Motivation zu bringen nach dem Motto: "Das lasse ich mir von mir nicht gefallen." Zunächst werden die spezifischen Streßfaktoren betrachtet, die ein Studium begleiten. Dann werden Verfahren genannt wie Disstreß, der krankmachende, negative Streß, in Eustreß, positiven, leistungssteigernden Streß umgewandelt werden kann.

Wesentliche Mittel dazu sind nach Aussage aller Streßforscher Bewegung und Meditation. Ein ideales Instrument ist das chinesische "Chi Kung", das seit Tausenden von Jahren als Energiespender und harmonieschaffendes System von gymnastischen Übungen, Atemtechniken und geistigen Exerzitien entwickelt wurde: Meditation in Bewegung.

MEDITATION UND ZEITMANAGEMENT

Weiter werden moderne Methoden des Zeitmanagements vorgestellt, um "alles auf die Reihe zu kriegen". Dabei stellt sich schnell heraus, daß Wichtiges von Unwichtigem nur dann unterschieden werden kann, wenn ein Lebensziel, eine Lebensplanung vorhanden ist. Daß dies der angestrebte Hochschulabschluß nicht sein kann, wenn danach das "Loch der Arbeitslosigkeit" droht, liegt auf der Hand.

Selbstverständlich kann das Seminar keine Lebensziele liefern. Aber es werden Methoden aufgezeigt, wie sich jeder Einzelne eigene Ziele unabhängig von gerade vorherrschenden Umständen erarbeiten kann. Jeder Teilnehmer des Seminars wird angeregt selbstgestaltend, unabhängig von äußeren Vorgaben und Ansprüchen, eine "Projektidee" als sinnstiftende Leitidee für den Lebensabschnitt "Studium" und darüber hinaus zu entwickeln. Sie ist zunächst nicht abhängig von der Realisierung. Diese kann nur dann erfolgen, wenn klar ist was realisiert werden soll.

"Wenn du tust, was du immer tust, bekommst du das, was du immer bekommst", sagt ein Spruch. Wer Neues beginnen will, muß Anderes tun. Diesen Gedanken will das Seminar vermitteln und Wege zu seiner Umsetzung aufzeigen. Ziel dabei: Einheit zu schaffen zwischen Anspruch und Realität, zwischen Studium und Leben. Nachfrage und Erfolg bestätigen die Richtigkeit des Ansatzes. Zum vergangenen Wintersemester hatten sich 40 Interessenten für 15 Plätze gemeldet.

Udo Treide, Allgemeine Studienberatung


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