TU intern - November 1998 - Studium

… entweder alles oder nichts verstanden

Erfahrungen eines Champions zur Verbesserung der Lehre

We are the Champions: Vizepräsident Christian Thomsen (rechts) mit den Ausgezeichneten Hans-Günther Schmalz, Georg Meran, Regine Buchheim, Hans Günther Wagemann, Bernd Hillemeier und Miron Mislin (v. r. n. l.)
Alle reden von Verbesserung der Lehre. Aber ein Konzept, wie man gute Lehre macht, scheint es nirgends zu geben. Daß seine Lehrveranstaltung zumindest gut bei den Studierenden angekommen ist, kann Prof. Dr.-Ing. Hans-Günther Wagemann vom Institut für Mikroelektronik und Festkörperelektronik von sich behaupten. Im Fachbereich 12 wurde er von den Studierenden zum Champion der Lehre erkoren. Wie er es mit der Lehre hält, erzählt er im folgenden.

Daß sich jeder, der eine Lehrveranstaltung abhält, ”vorbereitet", das halte ich für unverzichtbar. Schon weil sich über die Jahre hinweg bei mir immer wieder neue ”Aha-Erlebnisse" einstellen. Neue Zusammenhänge werden klar, die dann bessere Erklärungen ermöglichen. Vereinfachungen werden erkannt, die die Aneignung des Lehrstoffes erleichtern. Und immer wieder neue Bilder, ”Visualisierungen" als Tafelbild oder als Folie. Diese zwei Stunden Vorbereitung vor jeder Vorlesung, meistens abends im stillen Kämmerlein, die sind wichtig. Aus der guten Vorbereitung erwächst dann auch die Motivation, gute Lehre zu machen und Freude an der Vorlesung.

AUFLOCKERUNGEN EINSTREUEN

Wichtig ist die Struktur der Lehrveranstaltung, eine strenge Gliederung ist gefragt. Stets beginnt man mit dem Überblick über den heutigen Verlauf und schließt mit der Zusammenfassung. Und nicht zu vergessen: Auflockerungen einstreuen, sei es mit einer zeitgeschichtlichen Bemerkung oder anderem. Am Schluß kommt die in der Technik unumgängliche ”Mathematisierung". Abschnittsweise werden die Hörer nach der Zusammenfassung des Dozenten zu Bemerkungen und Fragen eingeladen. ”Wer nicht fragt, hat entweder alles oder gar nichts verstanden." Meist gilt letzteres, zu Lasten des Dozenten. Die Fragen der Hörer sind die ” Rückkopplung" für den Dozenten. Hier gibt es für ihn wichtige Hinweise für die Gestaltung der nächsten Vorlesung. Insofern sollten über den puren Wissensstoff hinaus auch didaktische Hilfen angesprochen werden: ”Eselsbrücken" einbauen, ebenfalls häufige Mißverständnisse erfragen und abstellen.

Wichtig ist auch eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens zwischen Dozent und seinen Studierenden. Das geht nur, wenn es gelingt, einen Dialog zwischen Lehrer und Schüler aufzubauen.

REGELMÄSSIGE SPRECHSTUNDEN

Das heißt, Sprechstundenzeiten des Dozenten müssen regelmäßig angeboten und eingehalten werden; zur Überprüfung des eigenen Wissens für einen Prüfungskandidaten, aber auch zur Abklärung der Standardantworten auf bekannte Prüfungsfragen. Gegenseitiges Vertrauen erlaubt auch die Diskussion von Prüfungsabläufen, ebenfalls die Begründung der vergebenen Note, selbst wenn das Ergebnis nicht ausreichend ist. Das bedeutet, man muß mit den Studierenden nicht nur reden, sondern ihnen auch zuhören können. Solidarität des erfahrenen Dozenten mit den Anfängern angesichts ihrer Mühe bei der Erarbeitung des Fachwissens schafft Vertrauen und verbindet.

Ich habe diese Erfahrungen als Lehrender berufsbegleitend an der TU Berlin erworben. Wie die meisten Professoren bin ich vor 22 Jahren überwiegend aufgrund von Beurteilungen meiner ”wissenschaftlichen Leistungen" berufen worden. Vorlesungen hielt ich zunächst für eine Folge von Fachvorträgen (Schema etwa so: 1 Drittel des Vortrages im Urteil der Zuhörer: ”wie leicht, das ist doch unter meinem Niveau!". 2. Drittel : ”oho, jetzt zieht es an, aber ich kann folgen". Letztes Drittel: ”nun versteh ich gar nichts mehr; der ist wirklich gut!") . Gespräche mit Assistenten und Studierenden über Lehrveranstaltungen und die begleitenden Unterlagen, auch immer wieder durchgeführte anonyme Umfragen (”Evaluationen"), haben mich im Laufe der Zeit für die didaktischen Aspekte der Lehrveranstaltungen sensibilisiert. Auch einigen erfahrenen Kollegen verdanke ich viel. In einem meiner ersten TU-Semester als Lehrender lud mich Prof. Dr. W. Gerlach zur Teilnahme an seiner Vorlesung mit anschließender Diskussion über Inhalt und Verlauf ein. So etwas blieb für mich die Ausnahme. Einige Kollegen waren doch überrascht, wenn ich einmal unter den Zuhörern ihrer Vorlesungen Platz nahm.

Leider hat die Universität als Institution über die Jahre hinweg nichts von Bedeutung angeboten, was den Anfängern unter dem Lehrpersonal erleichtert hätte, das Vorlesung-Halten zu erlernen. Andererseits hören wir ja allerorten in der Universität, daß die Lehre das Allerwichtigste sei. Man kann das nur als Umkehrung des berühmten Mottos verstehen: ”… immer drüber reden, nie daran denken …"


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