TU intern - Februar 1999 - Studium

Ordnung muß sein

Ein paar Tage vor Weihnachten bekam ich von unserem Dekan den Entwurf einer Rahmenprüfungsordnung für den Diplomstudiengang Mathematik auf den Tisch, der von einer Gemeinsamen Kommission der Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz erarbeitet worden war und zu der wir nun Stellung nehmen sollten.

Die Aufgabe war leicht. Die ersten 22 Paragraphen galten Allgemeinen Bestimmungen, zu denen ausdrücklich keine Stellungnahme gewünscht war. Die meisten der verbleibenden sieben Paragraphen mit Fachspezifischen Bestimmungen betrafen ebenfalls nur Selbstverständlichkeiten. So wird nach bestandener Diplomprüfung der Diplomgrad ”Diplommathematiker” bzw. ”Diplommathematikerin” verliehen. Gut so. Auch daß der Gegenstand der Fachprüfungen die Stoffgebiete der den Prüfungsfächern nach Maßgabe der Studienordnung zugeordneten Lehrveranstaltungen sind, ist sicher keine Überraschung. Daß zwei Pflichtbereiche der Hauptprüfung als ”Reine” und ”Angewandte” Mathematik festgeschrieben werden, wo doch sehr viele Mathematiker diese Differenzierung für überholt ansehen, ist verwunderlich, aber nicht wesentlich.

ZWEI AUS NEUNUNDZWANZIG

Überhaupt gibt es in dem ganzen Entwurf nur zwei wirklich fachspezifisch bedeutsame Punkte, nämlich die Bearbeitungsdauer für die Diplomarbeit und - damit untrennbar verbunden - die Regelstudienzeit. Dazu heißt es im Begleitschreiben des HRK-Präsidenten: ”In beiden Fällen hätte die Kommission es aus fachlichen Gründen vorgezogen, höhere Zeiten anzusetzen. Diese sind aber vor dem geschilderten (nämlich politischen) Hintergrund nicht erreichbar.” Das ist bedauerlich, aber man muß es akzeptieren. Und abgesehen davon ist die ganze Rahmenordnung ein ordentliches Papier, das jede Ausbildungskommission in einem Semester hätte fabrizieren können.

VERSCHLEUDERTE FACHKOMPETENZ

Die wahre Geschichte ist allerdings länger. Beauftragt mit der Erstellung war ursprünglich eine Fachkommission der HRK, der zusammen mit mir weitere sieben Hochschullehrer der Mathematik und zwei Studentenvertreter angehörten. Die Kommission war sich einig, zum Zweck der Studienzeitverkürzung der Diplomarbeit eine sechsmonatige ”Einarbeitungszeit” voranzustellen, die aber im Gegensatz zur gegenwärtigen Praxis formal dokumentiert werden sollte. Daraus resultierte eine Regelstudienzeit von zehn Semestern, wie sie auch in einer Unterschriftensammlung von weit mehr als der Hälfte aller deutschen Mathematikprofessoren als fachlich angemessen gefordert wurde - ein in der deutschen Hochschulpolitik beispielloser Vorgang. Diese Vorstellungen aber mißfielen der HRK, und da die Kommission auf ihnen beharrte, endete ihr Auftrag nach anderthalb Jahren im Oktober 1994. Bis dahin hatte die TU mir DM 3880 für Reisen zu den Kommissionssitzungen erstattet. Die Arbeit wurde einer politisch dominierten Gemeinsamen Kommission von HRK und KMK übertragen, die nach weiteren vier Jahren Arbeit das nun vorgelegte Papier zustandebrachte. Ordnung muß sein, sie koste was sie wolle. Die verschleuderte Fachkompetenz zumindest wird kein Rechnungshof rügen.

Prof. Dr. Dirk Ferus, MA 8-3


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