TU intern - Juli 1999 - Aktuelles

Wer kontrolliert unsere Lebensmittel?

”Eine ,Rundumkontrolle' wäre zwar wünschenswert, ist aber nicht praktikabel."
Ekkehard Weise

Erst waren es die "verrückten Rinder", dann die "Dioxin-Hähnchen", die die Verbraucher aufschreckten. Manch einer mag sich gefragt haben, wie es geschehen kann, daß diese belasteten Lebensmittel überhaupt in den Handel gelangen konnten. Wer kontrolliert eigentlich die Qualität von Lebensmitteln? TU intern sprach mit Professor Ekkehard Weise vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), Berlin.

Herr Weise, wer wacht in Deutschland darüber, daß keine belasteten Lebensmittel auf den Tisch der Verbraucher kommen?

Die Rahmenvorschriften zur Lebensmittelkontrolle erläßt der Bund, die Überwachung der Vorschriften obliegt dagegen den Bundesländern. Sie sind für die Organisation ihrer Lebensmittelüberwachung eigenverantwortlich, stimmen ihr Vorgehen aber in gemeinsamen Facharbeitsgremien miteinander ab. In Berlin ist die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, in Brandenburg das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die oberste zuständige Behörde. Die amtliche Lebensmittelüberwachung ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. In zunehmendem Maße wurden Betriebe dazu verpflichtet, eigene Gesundheits- und Qualitätskontrollsysteme für ihren Umgang mit Lebensmitteln einzurichten, so daß sich die Überwachungsbehörden immer mehr darauf konzentrieren, diese betrieblichen Eigenkontrollen zu kontrollieren. Hierzu müssen die Betriebe die behördliche Einsicht in ihre Aufzeichnungen zulassen.

Wie funktioniert die Lebensmittelkontrolle?

Die Lebensmittelüberwachung vor Ort wird von den Kommunen durchgeführt. Die Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämter kontrollieren den Warenverkehr, die Herstellungs-, Verarbeitungs- und Handelsbetriebe darauf, ob die hygienischen Anforderungen eingehalten werden, die Zusammensetzung der Lebensmittel den Vorschriften entspricht und Etikettierung und Aufmachung der Waren den Verbraucher nicht irreführen. Da dies oft nicht allein durch Augenschein, Temperaturkontrollen und Schnelltests möglich ist, müssen stichprobenweise und in Verdachtsfällen Lebensmittel entnommen und in einem amtlichen Prüfinstitut untersucht werden. In Berlin geschieht dies im Institut für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen (ILAT). Aufgrund der Untersuchungsergebnisse können die Lebensmittelüberwachungsbehörden Beanstandungen aussprechen, Maßnahmen ergreifen (zum Beispiel Betrieben eine Ordnungsstrafe auferlegen, ihnen Auflagen für den weiteren Betrieb erteilen, bei schweren Verstößen die Zulassung entziehen, bestimmte Produktchargen aus dem Verkehr ziehen und die Bevölkerung vor dem Verzehr dieser Lebensmittel warnen) und bei Verdacht strafbarer Handlungen die Staatsanwaltschaft einschalten. Die Kontrollen finden unangemeldet statt.

Nach welchen Schadstoffen wird gesucht?

Das hängt von der Art des Lebensmittels und seiner Herstellung sowie der aktuellen Situation zum Beispiel hinsichtlich Umweltbelastung, Mißbrauchsverhalten oder Häufung bestimmter Beanstandungsgründe ab. Für Lebensmittel tierischer Herkunft erstellt das BgVV zusammen mit den Bundesländern jährlich einen Rückstandskontrollplan, in dem die zu kontrollierenden Stoffe und die Anzahl der Untersuchungen festgelegt sind. Dabei geht es vor allem um Rückstände von Arzneimitteln und ähnlich wirkenden Stoffen wie Hormonen, Antibiotika, Wachstums- und anderen Leistungsstimulatoren. Daneben koordiniert die Zentrale Erfassungs- und Bewertungsstelle für Umweltchemikalien (ZEBS) des BgVV seit Jahren ein bundesweites Programm, nach dem Lebensmittel auf Pflanzenschutzmittelrückstände, Umweltkontaminanten, Nitrat und Mykotoxine untersucht werden müssen. Auch hier wird der Untersuchungsschlüssel in Zusammenarbeit mit den Bundesländern jährlich an die aktuellen Erfordernisse angepaßt. Die Daten aus beiden Programmen werden im BgVV ausgewertet und sind jährlich an die Europäische Kommission weiterzuleiten.

Was geschieht mit Lebensmitteln, die aus anderen Ländern importiert werden?

Durch EG-Recht sind auch die anderen Mitgliedstaaten zur Aufstellung solcher Pläne und zur Durchführung der entsprechenden Untersuchungen verpflichtet. Drittstaaten dürfen Lebensmittel nur in die EU liefern, wenn sie ebenfalls solche Untersuchungen durchführen.

Wie kann es trotzdem zu Skandalen wie kürzlich dem Dioxin-Skandal in Belgien kommen?

Lebensmittel werden nur auf die vorher festgelegten Stoffe oder Mikroorganismen untersucht. Eine "Rundumkontrolle" wäre zwar wünschenswert, ist aber nicht praktikabel. Kommt es - wie im Falle des Dioxins in Belgien - unvorhersehbar zur Kontamination von Lebensmitteln mit einem Stoff, der mit dem Erzeugungsprozeß gar nichts zu tun hat, kann es eine Weile dauern, bis diese Kontamination bemerkt wird. Ein solches Ereignis wie das in Belgien ist deshalb grundsätzlich auch anderswo möglich. Der eigentliche Skandal in Belgien liegt darin, daß hier auf Herstellerseite offenbar grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich strafbar gehandelt wurde und daß die Überwachungsbehörden nicht sofort nach Bekanntwerden der Vorfälle tätig wurden.

Wie gelangt die Information über vergiftete oder belastete Lebensmittel zum Verbraucher?

Für die Meldung festgestellter Krankheitserreger oder gesundheitsschädlicher Stoffe in Lebensmitteln hat die EU ein Schnellwarnsystem eingerichtet, mit dessen Hilfe alle Mitgliedstaaten innerhalb kürzester Frist über den festgestellten Mangel, die Art des Erzeugnisses und seine Herkunft unterrichtet werden. Zur unverzüglichen Meldung an die Kommission ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet. In Belgien ist diese frühzeitige Meldung unterblieben. Da sich die dort zuständige oberste Lebensmittelüberwachungsbehörde offenbar nicht an das Gemeinschaftsrecht gehalten hat, erwägt die Kommission eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.

Wie und wo kann sich der Verbraucher informieren, und wie kann er sich schützen?

Zentrale Informationsbörsen sind nach wie vor Fernsehen und Hörfunk, die entweder direkt durch die zuständigen Ministerien oder durch die Überwachungsbehörden über aktuelle Vorkommnisse unterrichtet werden. Das BgVV stellt in bestimmten Fällen Informationen auf seiner Homepage (http://www.bgvv.de) unter "bgvv aktuell" zur Verfügung. Gegen Krankheitserreger kann sich der Verbraucher unter anderem dadurch schützen, daß er Obst und Gemüse gründlich wäscht bzw. Lebensmittel, die besonders häufig Quellen von Infektionen sind, (Fleisch, Rohmilch, Eier) vor dem Verzehr gut durcherhitzt. Gegen Schadstoffe kann man sich nur dann einigermaßen schützen, wenn diese nur oberflächlich auf dem Lebensmittel vorhanden sind und abgespült werden können oder wenn sie beim Kochen oder Braten zerstört werden. Dioxinen ist mit solchen Methoden nicht beizukommen!


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