TU intern - Juli 1999 - Aktuelles

Ist der stumme Rest zufrieden?

Die systematische Auswertung der Studierendenumfrage liegt jetzt vor

Eigentlich kann die TU Berlin entspannt in die Zukunft blicken, denn, so zeigen die Ergebnisse der Umfrage unter allen Studierenden der TU Berlin, der Großteil der Studentinnen und Studenten scheint mit der Universität zufrieden zu sein, denn er hat sich nicht an der Umfrage beteiligt. Lediglich 685 von 31700 Studierenden haben die Umfrage zum Anlaß genommen, Kritik, Lob und Verbesserungsvorschläge einzureichen. Der stumme Rest, so könnte man meinen, genießt sein Studium in vollen Zügen. Nun, das klingt zynisch und ist nicht ernst gemeint. Es wäre schön gewesen, wenn mehr Studenten und Studentinnen geantwortet hätten. Da die Umfrage aber als ein Pilotversuch gedacht war, sind wir für jede Antwort dankbar. Das nächste Mal werden es sicher mehr sein, die sich artikulieren. Gefreut hat sich die Universität über die Vielfalt der Anregungen und Vorschläge, die die Fragebögen neben Kritik an Studium und Lehre enthielten. Besonders die Mühe und der Aufwand, den viele der Studierenden auf ihre Antworten verwandt haben, war überraschend. Die Universität nimmt jeden der eingegangenen Vorschläge ernst und bemüht sich, in Zukunft so viele wie möglich in die Tat umzusetzen.

Über Lob und Kritik aus der Umfrage hat TU intern in den vergangenen Monaten kontinuierlich berichtet. Jetzt liegen auch die Ergebnisse der systematischen Auswertung vor, die von Joachim Bretz und René Weber vom Institut für Psychologie der TU Berlin durchgeführt wurde (Ergebnisse s. u.). Zu Beginn der Auswertung lagen 616 Fragebögen vor. Insgesamt 611 Fragebögen wurden ausgewertet, da von den 616 fünf unleserlich ausgefüllt waren. Bei 31700 Studierenden, die Ende 1997 an der TU Berlin immatrikuliert waren, bedeutet das, daß der Fragebogen nur von 1,9 % bearbeitet wurde. Damit ist das Ergebnis der Umfrage natürlich nicht repräsentativ und eine Generalisierung der Ergebnisse nicht vertretbar. Das sollte für die Bewertung der Umfrage jedoch nicht das ausschlaggebende Kriterium sein, denn die Auswertung bietet trotz des geringen Rücklaufs einen Einblick in die Bereiche und Probleme, die den Studierenden der TU gegenwärtig besonders wichtig sind, und eröffnet damit Perspektiven für weitere gezieltere Befragungen zur zukünftigen Evaluation der Universität. Für alle Interessenten werden die anonymisierten Fragebögen ab Anfang August im Internet einsehbar sein.

Mirjam Schmidt


Zusammenfassung der Auswertungsergebnisse

Im folgenden sollen die hervorstechenden Ergebnisse der Auswertung zusammengefaßt werden. Im Vordergrund stehen hierbei die eindimensionalen Auswertungen, die mit der Gesamtstichprobe von 611 Studierenden durchgeführt wurden. Themenbereiche, die nur wenige Studenten behandeln, werden nicht ausgeführt. Die zweidimensionalen Auswertungen, getrennt nach Fachbereichen, werden nur für ausgewählte Themenbereiche berücksichtigt. Aus mehreren Fachbereichen liegen kaum Fragebögen vor. Interpretiert werden die Ergebnisse der zweidimensionalen Analysen nur, wenn für einen Fachbereich mindestens 20 Fragebögen vorliegen.

ZENTRALE INFORMATIONS- UND KOORDINATIONSSTELLEN

Die Angebote in der Lehre werden von einem wesentlichen Teil der Befragten und von fast allen Antwortern auf diese Kategorie kritisiert. Die Kritik bezieht sich dabei in erster Linie auf die Anzahl der Veranstaltungen, die als nicht ausreichend eingeschätzt wird, sowie auf die Größe bzw. Teilnehmerzahl, die als ungünstig, d. h. zu hoch, beurteilt wird. Teilweise ergeben sich hier deutliche Unterschiede zwischen den Fachbereichen. Bezüglich der Koordination der Lehrveranstaltungen wird insbesondere moniert, daß sich die Termine wichtiger Veranstaltungen überschneiden. Vorgeschlagen wird hier vor allem die Einrichtung zentraler Informations- und Koordinationsstellen. Auch bei den inhaltlichen Merkmalen der Lehre überwiegt die Kritik, allerdings werden auch einige Vorschläge zur Verbesserung unterbreitet. Hier konzentriert sich die Kritik in erster Linie auf einen mangelnden Praxisbezug der Lehre. In unkonkreter Weise schlagen die Studierenden vor, den Praxisbezug sowie die Interdisziplinarität der Lehre zu intensivieren. Auch hier zeigen sich z.T. deutliche prozentuale Unterschiede in jenen Fachbereichen, deren Fallzahl gerade noch eine Interpretation zuläßt. Bei den Lehrformen der Universität ist das Ausmaß an Kritik und Lob in etwa gleich ausgeprägt. Tendenziell werden Vorlesungen eher kritisiert, Praktika/Projekte und Tutorien eher gelobt.

Eindeutigere Ergebnisse zeigen sich bei der Evaluation des Lehrpersonals. Allgemein kann festgestellt werden, daß sich der überwiegende Teil der Befragten zu diesem Thema äußert, wobei die Kritik im Vordergrund steht. Bei einer separaten Betrachtung der einzelnen Statusgruppen wird sehr deutlich, daß sich die Kritik vor allem auf die Professoren konzentriert. Auch hier sind z. T. deutliche Unterschiede in den Fachbereichen zu erkennen. So werden insbesondere die Professoren des Fachbereich 7 kritisiert. Inhaltlich bezieht sich die Kritik an den Professoren hauptsächlich auf ihr Engagement (Anwesenheit, Betreuung, Sprechstunden) und ihre didaktische Kompetenz. Zum Mittelbau, zu den Tutoren sowie zu den Lehrbeauftragten machen die Befragten kaum Angaben. Unter den wenigen Einschätzungen halten sich bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern die Kritik und das Lob in etwa die Waage, bei den Tutoren und Lehrbeauftragten wird mehr gelobt als kritisiert.

Ebenfalls eindeutige Ergebnisse zeigen die Angaben zu Lehrevaluationen. Hier wird von den Studierenden angeregt, daß diese notwendig sind und in Zukunft regelmäßig durchgeführt werden sollen. Empfohlen wird des weiteren, die Geldzuwendung an Lehrstühle von den Ergebnissen der Lehrevaluation abhängig zu machen. Vorschläge von studentischer Seite überwiegen auch in der Kategorie ”Kooperation mit außeruniversitären Einrichtungen". Hier stehen für die Studierenden mögliche Kooperationen mit der Industrie und sonstigen Institutionen im Vordergrund. Bei den Strukturmerkmalen der Lehre dominiert die Kritik, die sich im wesentlichen auf die Studienordnungen der Studiengänge bezieht. Gleichzeitig werden in dieser Kategorie auch die meisten Vorschläge unterbreitet, die jedoch vornehmlich globaler Natur sind, d. h. vorgeschlagen wird, die Studienordnung zu verbessern, zu vereinfachen etc. Betrachtet man einzelne Fachbereiche getrennt, dann sind auch hier merkliche Unterschiede zu registrieren. Insbesondere Fachbereich 7 sticht durch einen hohen Anteil an Kritik hervor. Das Thema Prüfungen (Scheinerwerbsmöglichkeiten, Prüfungstermine, Durchfallquoten, Nachprüfungen) wird von den Befragten selten angesprochen. Die Befragten thematisieren demgegenüber häufiger die Verwaltung der Universität und kritisieren hierbei insbesondere die Ineffizienz der Verwaltung bzw. der Verwaltungsabläufe.

BIBLIOTHEKEN

Die Bibliotheken der TU Berlin sind für die Untersuchungsteilnehmer eines der wichtigsten Themen. Über 40 % der Befragten äußern mindestens eine Kritik zu den Bibliotheken, positive Bewertungen geben demgegenüber nur ca. 20 % der Befragten ab. Am häufigsten kritisiert wird die schlechte Ausstattung der Bibliotheken mit aktueller und mengenmäßig ausreichender Literatur. Weitere, allerdings weniger bedeutsame Kritikpunkte, sind die Organisation der Buchausleihe und die Öffnungszeiten, für die ebenfalls die meisten Verbesserungsvorschläge gemacht werden. Die Studierenden regen häufig an, Literaturrecherchen bzw. Buchbestellungen über das Internet zu erleichtern bzw. einzuführen. In verschiedenen Fachbereichen werden die Bibliotheken teilweise sehr unterschiedlich bewertet. Am negativsten urteilen die Befragten aus Fachbereich 7 und der Psychologie.

Auch der Themenbereich Computer/ Software/Internet nimmt für die Befragten einen hohen Stellenwert ein. Die Befragten äußern hierbei eher Vorschläge als negative oder positive Bewertungen.

COMPUTER/SOFTWARE/INTERNET

Am häufigsten wird angeregt, mehr Computerarbeitsplätze einzurichten, am häufigsten kritisiert wird dementsprechend die zu geringe Anzahl von Arbeitsplätzen am Computer.

Ein weiterer häufig geäußerter Vorschlag bezieht sich auf die Einführung von Lehrveranstaltungen für bzw. in spezieller Software. Ebenfalls wird angeregt, allgemeine Informationen der Universität oder einzelner Lehrstühle bzw. Institute stärker als bisher im Internet abrufbar zu machen. Am häufigsten gelobt wird von den Untersuchungsteilnehmern der Internetzugang für Studierende. Auch bei diesem Themenbereich zeigen sich Unterschiede zwischen den Fachbereichen. Kritische Beurteilungen erfolgen vor allem im Fachbereich 7.

Zahlreiche andere Themenbereiche werden in den Fragebögen nur selten angesprochen und sollen daher an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Diese Themenbereiche sind: Mensa/Cafeterien, Studentenberatung, Auslandskontakte, Spachkurse, hochschulpolitische und frauenspezifische Themen, Rauchverbot, finanzielle Themen der Studierenden, Studiengebühren, Semesterticket u.a. Demgegenüber üben zahlreiche Befragte Kritik an der Universitätskultur bzw. dem Universitätsklima und den Räumen der TU-Berlin. Ein Vorschlag bezieht sich auf die Einführung von Universitätsritualen wie z.B. der feierlichen Übergabe des Diplomzeugnisses. Ein Bereich der TU Berlin, den die Befragten ausgesprochen positiv beurteilen und kaum kritisieren, ist der Universitätssport, den fast 14 % der Untersuchungsteilnehmer lobend erwähnen.

ÜBRWIEGEND KRITISCH

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich die Studierenden überwiegend kritisch zu vielen Aspekten des Studiums und der Lehre sowie den Dienstleistungsangeboten der TU Berlin äußern. Der hohe Anteil von konkreten Anregungen und Vorschlägen zeigt jedoch, daß die Untersuchungsteilnehmer nicht nur auf wahrgenommene Probleme der Universität hinweisen, sondern in hohem Maße versuchen, mögliche Lösungs- und Änderungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Es kann vermutet werden, daß viele Probleme, die von den Befragten genannt werden, wie z. B. ein quantiativ zu geringes Veranstaltungsangebot, eine schlechte Bibliotheksausstattung oder zu wenig Computerarbeitsplätze, durch finanzielle Faktoren bedingt werden. Die Ursachenfindung für weitere ausgesprochen kritisch bewertete Themen, wie z. B. das z. T. geringe Engagement der Professoren oder der unzulängliche Praxisbezug in der Lehre, sollte durch eine breit angelegte Diskussion innerhalb der TU Berlin stattfinden.

Aufgrund des geringen Rücklaufs können die Ergebnisse dieser Befragung nicht auf die Gesamtheit aller Studierenden der TU Berlin generalisiert werden.

Die Beurteilungen der Befragten sind nicht als Urteile aller Studierenden interpretierbar, sondern stellen eine Sammlung von Themen dar, die in repräsentativen Befragungen systematisch untersucht werden sollten. Einem Fragebogen mit offenen Fragen ist ein standardisierter Fragebogen mit vorgegebenen Antwortalternativen vorzuziehen.

LEHREVALUATION EMPFOHLEN

Eine Lehrevaluation in allen Lehrveranstaltungen wäre eine zu empfehlende, allerdings aufwendige Möglichkeit, die Qualität der Lehre zu kontrollieren. Themen, die sich nicht auf spezielle Lehrveranstaltungen bzw. Lehrpersonen beziehen, lassen sich demgegenüber weniger aufwendig untersuchen. Statt einer einmaligen Vollerhebung kann hier eine hinreichend große Zufallsstichprobe bzw. eine nach relevanten Merkmalen geschichtete Stichprobe befragt werden.

Der Erfolg zukünftiger Studien wird in hohem Maße von der Motivation und Teilnahmebereitschaft der Befragten bestimmt. Diese kann nur hergestellt werden, wenn es gelingt, den Untersuchungsteilnehmern in Zukunft glaubhaft zu vermitteln, daß ”ihren Worten Taten folgen", d. h. daß die Studienergebnisse praktische Konsequenzen für Studium und Lehre haben. Hierzu wäre eine öffentliche Diskussion über Evaluationsstudien und ihre Ergebnisse förderlich.

Joachim Bretz und René Weber,
Institut für Psychologie der TU Berlin


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