TU intern - Juni 1999 - Wissenschaft

Maschinen im Katastrophenschutz

Autonom fliegender TU-Roboter nimmt an Hochschul-Wettbewerb in den USA teil

Geeignet für schwierige Missionen: der Roboter fliegt und entscheidet ohne menschliches Zutun
Seveso 10. Juli 1976: Giftstoffe, die nach einer Explosion aus einer Chemiefabrik entweichen, verseuchen die Umgebung. Etwa 200 Personen erleiden akute Vergiftungen. Damals schickte man Menschen an den Ort der Katastrophe, um die Lage zu erkunden. Vielleicht übernehmen in Zukunft Roboter solche Aufgaben. Einen Vorgeschmack darauf kann man beim Wettbewerb "International Aerial Robotics Competion (IARC)" der amerikanischen "Association for Unmanned Vehicle Systems International" (AUVS) erhalten, der vom 23. bis 26. Juni 1999 in Richland im US-Bundesstaat Washington stattfindet.

Aufgabe der Wettbewerbsteilnehmer ist es, einen fliegenden Roboter zu entwickeln, der vollkommen autonom operiert. Autonom bedeutet, daß der Roboter ohne menschliches Zutun fliegt, Gegenstände erkennt und Entscheidungen trifft, um seine Mission zu erfüllen. In einem den Teilnehmern unbekannten Testgelände müssen bei einem Katastrophenszenario verschiedene Objekte erkannt und deren Positionen übermittelt werden. Das sind zum Beispiel Brandherde, Tote, Verletzte, die mit den Armen winken, oder Fässer mit gefährlichem Inhalt.

Der Wettbewerb ist offen für Hochschulen und Forschungseinrichtungen, nicht jedoch für kommerzielle Entwicklungsabteilungen: Voraussetzung ist die überwiegende Beteiligung von Studierenden an der Entwicklung des Systems. Zu den Teilnehmern gehört auch ein Team der TU Berlin, das am Institut für Technische Informatik bei Prof. Dr.-Ing. Günter Hommel unter der Leitung der beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Marek Musial und Wolfgang Brandenburg den Flugroboter MARVIN (Multi-purpose Aerial Robot Vehicle with Intelligent Navigation) entwickelt hat. Im vergangenen Jahr stellte das TU-Team in der ersten Runde des Wettbewerbs sein technisches Konzept vor, es hatte jedoch nicht das bis dahin entwickelte System mitgenommen. Dennoch erreichte es mit geringem Punkterückstand auf die Führenden einen beachtlichen neunten Platz. Insgesamt hatten sich 15 Teams beteiligt, neben dem TU-Team als einziger Vertreter aus Europa neun Hochschulen aus den USA, vier aus Kanada und eine aus Mexiko.

HANDELSÜBLICHER MODELLHELIKOPTER

Zwei Computer an der Bodenstation überwachen den Zustand des fliegenden Roboters
"Das Besondere an dem Flugroboter MARVIN ist die Tatsache, daß er nicht Produkt eines Forschungsprojekts ist. Seit dem Wintersemester 1997/98 entstand MARVIN von und mit motivierten Studierenden im Rahmen von mehreren Lehrveranstaltungen des Fachgebiets Prozeßdatenverarbeitung durch viel Eigeninitiative über den normalen Lehrbetrieb hinaus", sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter Wolfgang Brandenburg. Bis zu 30 Studierende, hauptsächlich aus der Informatik, der Technischen Informatik, der Elektrotechnik und der Physik, haben sich an der Entwicklung beteiligt. Das Kernteam besteht neben den beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern aus den Studierenden Eike Berg, Michael Christmann, Christian Fleischer, Christian Reinicke, Stefan Rönnecke, Volker Remuß und Andreas Wege sowie dem Modellhelikopter-Piloten Matthias Jeserich. Die Basis von MARVIN bildet ein handelsüblicher Modellhelikopter mit Zweitakt-Benzinmotor, den die DaimlerChrysler Aerospace AG (DASA) Bremen zur Verfügung gestellt hat. Damit MARVIN autonom fliegen kann, wertet ein Bordrechner ständig Sensoren-Daten aus, berechnet die Position und hält den Helikopter - auch bei Wind - stabil in der Luft. Das "Global Positioning System" (GPS), das ansonsten zur Satellitennavigation eingesetzt wird, berechnet die Position des Robotors bis auf 2 cm genau. Zwei Ultraschallsensoren an Bord ermitteln den Abstand zum Boden bzw. zu nahen Hindernissen. Weitere Daten über die Fluglage liefern ein Kompaß und drei Kreiselsensoren, die Drehungen um alle Achsen erfassen. Ein Infrarotsensor erlaubt die Erkennung von Flammen, die bei zu dichter Annäherung eine Gefahr für den Roboter darstellen. Insgesamt kommen rund 30.000 Meßwerte pro Sekunde zusammen. Um diese Datenmenge auszuwerten und in Anweisungen umzusetzen, benötigt MARVIN lediglich einen Kleinrechner an Bord, der ungefähr einem 386er mit 25 MHz entspricht. Die eigens entwickelte Rechnerplatine wurde in Zusammenarbeit mit der Leiterplattenfertigung der Technischen Fachhochschule Berlin (TFH) hergestellt. Zum Datenaustauschzwischen dem Flugroboter und der Bodenstation, die den Zustand von Marvin überwacht, wird ein Funkmodul auf Basis des digitalen schnurlosen Telefonsstandards eingesetzt.

Probleme bereitete dem TU-Team anfangs die Bilderfassung, um die gesuchten Objekte zu erkennen. Bei einer analogen Videokamera erwies sich die Übertragung über einen zusätzlichen analogen Kanal als störanfällig und die Bilder als zu verrauscht. Mit einem handelsüblichen digitalen Fotoapparat, der alle 10 Sekunden eine Aufnahme macht, hat man nun gestochen scharfe Bilder. Außerdem kann die gesamte Bildverarbeitung ohne Digitalisierung eines Analogsignals über einen zweiten Rechner am Boden erfolgen. Der Rechner wertet die Kamerabilder aus und gibt anschließend Anweisung, ob ein potentielles Objekt näher angeflogen und erneut aufgenommen werden soll.

Da MARVIN alle Anforderungen des IARC erfüllt, ist das TU-Team optimistisch. "Außerdem können wir angesichts der Gesamtkosten in Höhe von rund 50.000 DM ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis vorweisen", ergänzt Marek Musial. Vielleicht springt mit MARVIN dann mehr heraus als bei einem früheren IARC-Wettbewerb im Jahr 1995. Damals errang das TU-Team mit dem Flugroboter "TubRob" den zweiten Platz.

Christian Hohlfeld


© 6/'99 TU-Pressestelle