TU intern - Juni 1999 - Gründer

Radikale Innovationen nicht zu erwarten

Über Erfinder von heute und innovationsfreundliche Bedingungen in der Gesellschaft

Der Erfinder von heute ist kein eigenwilliger Tüftler mehr, sondern von Infrastruktur und Kontakten abhängig
Existenzgründer sind gesucht in Deutschland. Überall gibt es Initiativen, die die potentiellen Unternehmer beim Sprung in die Selbständigkeit unterstützen sollen, seien es Innovations- und Gründerzentren, Gründertage, Gründernetzwerke oder Gründermessen. Doch der Erfolg scheint nicht unumstritten zu sein, denn viele Existenzgründer geben schon nach kurzer Zeit wieder auf. Was braucht ein Erfinder heute und wie kann man ein Klima schaffen, das Innovationen fördert? Darüber sprach TU intern mit dem Technikgeneseforscher Professor Dr. Werner Rammert von der TU Berlin.

Herr Rammert, von Ihnen stammt der Ausspruch "Erfinden zu lernen halte ich für genauso unmöglich, wie den Beruf des Künstlers zu lernen". Schlechte Aussichten für Innovationen und Existenzgründer?

Nein, das Problem besteht darin, daß man jemanden nicht zum Erfinder-Unternehmer ausbilden kann, so wie man ihn in einem bestimmten Fach ausbildet. Wenn man heute über Gründer spricht, dann denkt man an das, was man von früher kennt. Man denkt an den "schumpeterischen Unternehmer", der Unternehmer und Erfinder in einer Person ist, wie es zum Beispiel bei den Siemens-Brüdern der Fall war. Das Problem ist aber, daß diese Unternehmer damals nicht systematisch "erzeugt" wurden, sondern unter bestimmten Rahmenbedingungen herangewachsen sind, wie zum Beispiel Reisen ins Ausland, Studium anderer Disziplinen, selbständige Organisation von Kontakten zwischen Wirtschaft und Technik.

Heute sind die Rahmenbedingungen für neue Entwicklungen anders. Man kann weniger alleine oder in der "berühmten" Garage im Hinterhof arbeiten. Man ist viel stärker von Infrastrukturen abhängig, muß mit anderen zusammenarbeiten und benötigt Kontakte zu Firmen oder zur Wissenschaft, um Innovationen voranzutreiben. Das alles war in Silicon Valley zufällig gegeben. Aber man kann das nicht hierher übertragen, indem man die Leute auf einem Gelände, zum Beispiel in Adlershof, zusammenpackt und vielleicht noch eine Kneipe einrichtet, in der die Forscher sich austauschen können.

Sind somit Innovationszenten überflüssig?

Das kann man schwer sagen. Es ist schon so, daß sie die Möglichkeit schaffen, daß Beziehungsnetzwerke zwischen Personen, die etwas ähnliches machen, entstehen. Sie geben auch die Möglichkeit, Gelder dorthin zu lenken. Der Nachteil ist aber, daß dort auch eine neue Bürokratie entsteht und das Abschöpfen der Gelder auf diese Zentren beschränkt bleibt. Radikale Neuerungen gehen aber meistens nicht diese geförderten Wege. Es besteht die Gefahr, daß man sie nicht mehr wahrnimmt, daß keine Mittel mehr dafür zur Verfügung stehen oder daß man versucht, sie in diese offiziellen Bahnen zu lenken. Dann kann es geschehen, daß sie sich dem entziehen, indem sie zum Beispiel in die USA gehen.

Finden Erfinder und Existenzgründer dort bessere Bedingungen vor?

Dort gibt es viel weniger Regelung und Bürokratie. Das ist nicht nur von Vorteil, beispielsweise sind die sozialen Sicherungen hier viel besser als in den USA. Aber die Bürokratie wirkt auch behindernd. Wenn man in Deutschland etwas aufbauen will, muß man ein großer Künstler sein im Umgang mit der Bürokratie.

Außerdem gibt es in den USA weniger Normen und technische Standards. In Deutschland ist alles viel stärker geregelt. Man sieht das zum Beispiel bei der Biotechnologie, der Freisetzung von genmanipulierten Lebensmitteln oder der Informationstechnologie. Länder wie Amerika oder England sind dort viel weiter vorne. Wir in Deutschland betreiben eher "defensive Innovationen" in den klassischen Disziplinen wie Maschinenbau, wo es mehr darum geht, Vorhandenes zu verbessern, was natürlich auch wichtig ist. Wirklich radikale Innovationen sind bei uns weniger zu erwarten als in England und den USA.

Was zeichnet die innovationsfreundliche Gesellschaft aus?

Neben dem bereits angesprochenen Spielraum braucht man zweierlei. Es müssen genügend Ressourcen wie Universitäten, Firmen, Risikokapital usw. vorhanden sein. Man braucht aber auch Wagemut und Querdenker. In Amerika nennt man das Pioniergeist. Einwandererkulturen haben diesen Pioniergeist. Sie bringen Neues mit und sind später diejenigen, die aufsteigen, sich nicht nur an die Regeln halten, die Querdenker werden. Kleine Gruppen mit viel Pioniergeist gibt es auch in Ostdeutschland. Zum Beispiel bei den Studenten, die mit Fleiß, Aufstiegswillen und Interesse neu an Sachen herangehen. Das sind Menschen, die ihr Studium nicht als Konsumangebot betrachten und nur fragen, was am effektivsten zu kombinieren und am besten für die Karriere ist. Letzteres ist ein Verhalten, das nicht zu Innovation führt, sondern nur gute Manager auf der mittleren Ebene bringt.


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