TU intern - November 1999 - Jubiläum

Doktor-Ingenieur - homo faber oder homo politicus

Aus dem Festvortrag zum Doppeljubiläum der Technischen Universität Berlin

Mit der Frage "Doktor-Ingenieur - Homo faber oder homo politicus" setzte sich Hans-Peter Keitel, Vorstandsvorsitzender der HOCHTIEF AG, in seinem Festvortrag zum Doppeljubiläum der TU Berlin auseinander.

Keitel beschäftigte sich zunächst mit einer Analyse zu Zustand und Perspektive der Bauindustrie. Für die Strukturkrise der Bauindustrie nannte er drei Gründe: Bauen in Deutschland habe über viele Jahrzehnte hinweg seine eigenen Randbedingungen gehabt, sei es in Rüstung und Kriegswirtschaft oder im Wiederaufbau. Gebaut wurde, so Keitel, was technisch machbar und unter Ausnutzung aller Kapazitäten zu leisten war, ohne dass die Preise dabei streng marktbezogenen Gesetzen folgten. Hinzu kam, dass die Auslandstätigkeit deutscher Bauunternehmer anders als in England oder Frankreich zwar durchaus vorhanden, nicht aber strategisch geplant und organisiert war. Als dritten Grund für die Krise der deutschen Bauwirtschaft nannte Keitel das Fehlen starker unabhängiger Bauingenieure mit betrieblicher und betriebswirtschaftlicher Kompetenz. Zur Gesundung der Bauindustrie forderte er das Ende der Universalbauunternehmung, alternative Vertragsmodelle sowie ein verbessertes Risiko-Management der Unternehmen.

Mit besonderem Interesse dürfte das Auditorium die Thesen Keitels zur Ausbildung der Bauingenieure zur Kenntnis genommen haben.

"Die gebührenfreie Massenuniversität ist unsozial"
Er begann mit der These "Wir müssen unseren jungen Bauingenieuren mehr beibringen als exzellente Technik". Anstelle der "Ingenieure und Forscher, denen die technische Lösung einzige Herausforderung ist, die Entwicklung hochleistungsfähiger Produkte, die letztlich keiner haben will" forderte er den unternehmerischen Ingenieur, der sich mit dem Nutzen seiner Arbeit auseinandersetzt. Neben der Technik sind "Kenntnisse in Ökonomie und Ökologie zu vermitteln, in Personalführung und Management; es geht um die Schaffung zukunftsträchtiger institutioneller Strukturen, die sich an der Ganzheitlichkeit von Produktionsprozessen orientieren; international muss das Ganze sein; vernetztes Denken und lebenslanges Lernen sind selbstverständlich. Dazu kommen ,soft skills' wie Kommunikations- und Teamfähigkeit oder interkulturelles Verständnis auf der Basis ethnischer Toleranz", erklärte Keitel. Diese Forderungen können jedoch nicht ohne Konsequenzen sein: "Die jahrelange Überbetonung der Technik darf nicht umschlagen in ein solides technisches Halbwissen. Ich sage dies gerade an einer Technischen Universität, die als eine der wenigen einen umfassenden und attraktiven Studiengang für Wirtschaftsingenieure anbietet: es reicht nicht, von dem einen und dem anderen jeweils die Hälfte zu wissen, man muss an einer Stelle auch wirklich fest verankert sein; Berlin zeigt, dass die Universität im regulären Studium bei vernünftigen Studienzeiten eine sichere Grundlage vermitteln kann, auf der sich zusätzliche Qualifikationen aufbauen lassen." Keitel forderte ein "fest umrissenes System persönlicher Werte und sozialer Kompetenzen" für die angehenden Ingenieure. "Wer ethnische Toleranz üben soll, muss seine eigene Herkunft kennen, sich mit seinem eigenen Denk- und Wertesystem auseinandersetzen." Er erinnerte daran, dass die TU Berlin "als einzige (Hochschule) in Deutschland ein Humanistisches Pflichtstudium für Ingenieure gekannt hat. Dass dies ausgerechnet 1968 fast gleichzeitig mit der Einführung weitgehender universitärer Mitbestimmungsmodlle abgeschafft wurde, ist zumindest eine bemerkenswerte historische Fußnote". Kritisch äußerte sich Keitel in diesem Zusammenhang über die nach seiner Meinung intensiven Bemühungen, "möglichst vielen den Weg zum Abitur zu ebnen, als Regelfall ein akademisches Studium anzubieten, aus Ingenieurschulen Fachhochschulen und aus graduierten Ingenieuren Diplom-Ingenieure zu machen".
"Wir müssen unseren jungen Bauingenieuren mehr beibringen als exzellente Technik"
Dies nivelliere unterschiedliche Begabungen und presse herausragende Talente in schematische Bildungsgänge. Er bezeichnete es als verfehlt, den praktisch veranlagten Studierenden, welche von der Industrie gebraucht würden, eine wissenschaftlich orientierte Ausbildung aufzwingen zu wollen. "Fachhochschulen und Hochschulen haben unterschiedliche Aufgaben", sagte Keitel, "wir brauchen eigenständige praxisorientierte Studiengänge für eine große Zahl von Studierenden. Wir sollten dabei von neuem über die Eingangsvoraussetzung nachdenken und die Fachhochschulen mit den notwendigen Mitteln ausstatten, um die Ausbildung in der Breite zu bewältigen." Keitel forderte aber auch eine adäquate Ausbildung der Elite. Immer hochtrabendere Anforderungen, so sagte er, können von einer relativ geringen Anzahl begabter und fleißiger junger Menschen nur bei einer richtigen Ausbildung erfüllt werden. "Universitäten, die seit mehr als zwei Jahrzehnten gezwungen sind, eine über jede vernünftige Größenordnung hinausgehende Zahl von Studierenden auszubilden, sind dabei überfordert." Scharfe Kritik übte der Vorstandsvorsitzende der Hochtief AG an den Gremienuniversitäten. "Seit der Schaffung der Gruppen- und Gremienuniversität sind fast 30 Jahre vergangen - höchste Zeit, Lehre und Forschung wieder den Primat vor Bürokratie und pseudodemokratischen Entscheidungen einzuräumen. Wir öffnen damit automatisch wieder den vielerorts verloren gegangenen Dialog zwischen engagierten Wissenschaftlern und einer als Partner verstandenen Wirtschaft, die die Hochschulausbildung als Grundlage ihrer eigenen Führungskräfteentwicklung begreift und fördert. Wir schaffen die Basis für einn Dialog, der nicht auf Gewohnheiten und Ritualen, auf gelegentlichen Gutachten und Seminarveranstaltungen, sondern auf gemeinsamen Interessen von Eliten beruht. Die Verantwortung dafür liegt in gleichem Maß bei der Wirtschaft. Durch projektbezogene Finanzierung von Spitzenleistungen kann sie einen gesunden Wettbewerb in und unter den Hochschulen unterstützen, eine Trennung der Promotion von der Verfügbarkeit öffentlicher Stellen erleichtern und damit einen Beitrag zur Abkürzung der Promotionsverfahren leisten."

"Wir brauchen technische Ingenieure"
Mit seiner zweiten These ging Keitel auf das Thema Studiengebühren ein. "Die gebührenfreie Massenuniversität ist unsozial", sagte er. Es sei zu fragen, ob kurze Studienzeiten - ein wichtiges Kriterium für die Einstellung - an Massenuniversitäten nur für besonders begabte Studierende möglich seien. Studiengebühren, so führte er aus, seien ganze Dimensionen kleiner als die Jahreseinkommen, die den deutschen Absolventen im Vergleich zu ihren ausländischen Kollegen verloren gingen. Keitel verwies darauf, dass ernstzunehmende Modelle zufolge Studiengebühren keineswegs alle gleich belasten würden. Als weitere Folgen einer mangelnden Qualität der Ausbildung in Deutschland bezeichnete Keitel auch die Abwanderung der "High Potentials" ins Ausland. "Unsozial", so Keitel weiter, "sind Universitäten, die vorgeben, ihre Studierenden auf das lebenslange Lernen und den Wettbewerb vorzubereiten, für sich selbst aber eine wettbewerbsfreie Zone reklamieren." Er forderte kürzere Promotionsdauern und kritisierte die Existenz von "Universitäten, die ihr Dasein regionalpolitischen Überlegungen verdanken, aber mangels Masse und Klasse den Anspruch auf öffentliche Mittel längst verwirkt haben." Schließlich kritisierte Keitel das Verhalten der Universitäten, sich nicht mit den beruflichen Perspektiven ihrer Absolventen auseinander zu setzen.

"Wir brauchen politische Ingenieure"
In seiner dritten These forderte Keitel "politische Ingenieure". Die Glaubwürdigkeit der Bauingenieure und ihr Ansehen in der Gesellschaft seien stark gesunken, Bauingenieure müssen, so Keitel, sowohl ihre zentrale Funktion für die Gesellschaft als auch die ethischen Grundlagen ihres Tuns überzeugend vermitteln. "Es muss uns gelingen, durch Transparenz, Verpflichtung auf ethische Standards, Sensibilität gegenüber dem, was wir tun und wie wir es tun, Vertrauen zu gewinnen." Keitel verwies darauf, dass in seinem Unternehmen jeder leitende Mitarbeiter zusammen mit seinem Dienstvertrag einen Ehrenkodex unterschreibe, dessen Missachtung arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zöge. Er forderte dazu auf, bei Entscheidungen über den Wettbewerb nicht die ethische Dimension zu vergessen. Dazu, so sagte er, gehöre auch ein Bewusstsein der Technikgeschichte. "Das erstaunliche Nichtwissen der Bauwirtschaft zum Thema Zwangsarbeit bedrückt."

"Wir brauchen technische Ingenieure" lautete die vierte These Hans-Peter Keitels. Sei es doch die Technik, die die Komplexität der Welt beherrschbar mache. Aber, so der Schluss der Rede: "Die Welt ist nicht nur ein Produkt des technischen Gestaltens, sondern auch des technischen Verstandes. Der technische Mensch muss wissen, was die Folgen seines Tuns sind." Deshalb könne es eigentlich nicht ein Entwederoder bei der Frage nach der Zukunft promovierter Ingenieure geben: der Doktor-Ingenieur müsse homo faber und homo politicus sein.

urs

Der komplette Wortlaut der Rede ist im WWW unter http://archiv.pressestelle.tu-berlin.de/doku/200jahre/keitel.htm zu finden


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