TU intern - November 1999 - Internationales

Studieren in der Mitte von Nirgendwo

Gute Betreuung und Natur bis zum Abwinken

Welch ein abschreckender Titel leitet diesen Beitrag über meinen halbjährigen Studienaufenthalt in Lappeenranta im Südosten Finnlands ein. Doch obwohl Lappeenranta eine Stadt mit ca. 35000 Einwohnern ist und inmitten von Wald und Seen liegt, war der Aufenthalt alles andere als langweilig und abschreckend. Aber der Reihe nach ...

Die Idee, eine gewisse Zeit im Ausland zu studieren, reifte schon längere Zeit in mir und wurde dann endlich Anfang letzten Jahres zu einem Entschluss. Dem Ende meiner Studienzeit nahe, war "Jetzt oder nie!" der Antrieb bei der Entschlussfassung, und ich habe es nicht bereut.

Am Anfang standen natürlich die Fragen nach dem "Wie, Wohin und Wann". Das "Wie" ergab sich schnell nach einem Besuch im Akademischen Auslandsamt. Einer der auf der Auslandskontaktliste aufgeführten Professoren meines Fachbereiches, Energie- und Verfahrenstechnik, sollte es sein. Die Wahl fiel sehr schnell auf Professor Günter Wozny aus dem Fachgebiet Prozess- und Anlagendynamik, denn ihn kannte ich bereits von zwei Exkursionen und anderen Veranstaltungen, hatte auch schon eine Prüfung bei ihm abgelegt und war interessiert an vielen Fragestellungen aus diesem Fachgebiet.

Die Alternativen für "Wohin" bestanden aus Krakow (Polen) und Lappeenranta. Meine Entscheidung fiel spontan auf Lappeenranta. Ein Grund dafür war, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Finnland gewesen war, jedoch schon einige Male in Polen. Als Termin suchte ich mir Oktober 1998 aus und plante fünf Monate lang, Dunkelheit und einen kalten und schneereichen Winter zu erleben.

Die Vorbereitung für meinen Aufenthalt in Lappeenranta verlief problemlos. Die netten Mitarbeiterinnen vom "International Office" der Technischen Hochschule Lappeenranta versorgten mich mit allen nötigen Informationen und Formularen, um ein Zimmer für die Zeit meines Aufenthaltes zu mieten, ein eigenes Konto bei der dortigen Bank zu eröffnen, und organisierten, dass mich meine Tutorin, die mir während der ganzen Zeit mit Rat und Tat zur Seite stand, vom Busbahnhof in Lappeenranta abholte.

Einer der ersten Wege, nachdem ich ankam, führte zu Professor Kraslawski, der für fünf Monate meine fachliche Betreuung übernehmen sollte. Er hatte bereits einen Computer für mich organisiert in einem Büro, das ich mit zwei Finnen teilte. Die Zusammenarbeit mit Professor Kraslawski war sehr angenehm.

Meine Aufgabe bestand darin, ein Programm zur Prozessoptimierung weiter zu entwickeln. Zur Lösung eines Problems sucht es in einer Datenbank nach ähnlichen, erfolgreich gelösten Fällen. Da diese aber nur ähnlich sind, wird versucht durch Adaption aus den gefundenden Lösungen eine neue zu entwickeln. Wenn dies erfolgreich verläuft, wird die neue Lösung ebenfalls in der Datenbank abgespeichert. Auf fachchinesisch nennt man das dann "die Verbindung eines Genetischen Algorithmus mit einem Fallbasierten Schließer zum Prozessdesign". Mindestens einmal pro Woche setzte ich mich mit Professor Kraslawski zusammen und berichtete ihm über den Stand meiner Arbeit. Unter anderem bereiteten wir auch eine Veröffentlichung über die Ergebnisse vor.

Um schnell Kontakt mit anderen Mitstudierenden herzustellen, wurden vom "International Office" verschiedene Angebote organisiert. Zum Beispiel gab es ein E-Mail-Forum, in dem automatisch alle ausländischen Studierenden und deren Tutoren und Tutorinnen Mitglied waren. In diesem Forum wurden Veranstaltungshinweise, Partys und Ausflüge angekündigt und organisiert. Des Weiteren wurden Sprachpatenschaften initiiert, in denen jeweils ein/e ausländische/r Studierende/r versuchte, einem finnischen Studenten oder einer finnischen Studentin die eigene Muttersprache nahe zu bringen und umgekehrt.

Der Winter brach Anfang November herein. Die Temperaturen waren lange Zeit bei -20 Grad Celsius, was, abgesehen von der Notwendigkeit eine Mütze zu tragen, nicht so unangenehm war. Die Vorteile solch kalter Temperaturen sind natürlich Schnee, auf dem man lange Skiwanderungen unternehmen kann - das "International Office" hatte für ausländische Studenten/innen Skier zum Ausleihen - und Sonne, die nicht lange aber oft schien und alles in ein gleißendes Licht setzte. In Verbindung mit dem blauen Himmel versteht man dann auch die Nationalfarben Blau-Weiß.

Die Dunkelheit war in Lappeenranta noch nicht so ausgeprägt, obwohl im November und Dezember die Tage doch merklich kürzer wurden, aber im Januar und Februar dafür auch deutlich länger. Überhaupt ist für Leute, die den Winter mögen und der nassen Kälte Berlins entfliehen wollen, der Februar der schönste Monat in Finnland. Sonnenschein, Schnee und von Tag zu Tag nimmt die Helligkeit zu.

Viele Finnen entsprechen dem Bild, das Aki Kaurismäkis Filme von ihnen zeichnen: Stille Menschen, die viel trinken. Es trifft natürlich nicht auf alle zu, gerade die Menschen aus der Gegend von Lappeenranta waren eher kommunikativ. So ist es wie überall auf der Welt, den Finnen gibt es genauso wenig wie den Deutschen, doch fällt es schwer, sich das Lachen zu verkneifen, wenn man mittags im Bus einen blonden 40-jährigen Mann sieht, der mit eindeutiger Schieflage versucht sein Handy zu bedienen.

Es war ein sehr spannender und lehrreicher Aufenthalt in Lappeenranta. Wer sich von Kleinstädten im Flair der 70er Jahre und Natur bis zum Abwinken nicht abschrecken lässt, jedoch viele nette Menschen kennenlernen, eine gute Betreuung an einer kleinen Universität erleben und vielleicht sogar mal vorsichtig Russland kennenlernen möchte, dem sei Lappeenranta nur empfohlen.

Henk Jonas


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