Die große Mutter Physik

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Forschung & Entwicklung

Physik ist lebendig, aufregend und immer wieder überraschend. 2000 ist das Jahr der Physik. Innerhalb der bundesweiten Initiative "Wissenschaft im Dialog" finden zahlreiche Veranstaltungen an Universitäten, Forschungsinstituten und Schulen statt. "Die Wissenschaft muss den Dialog mit der Gesellschaft führen. Wir müssen deutlich machen, dass Forschung für die Menschen da ist und gleichzeitig Innovation und Arbeitsplätze schafft", so die Schirmherrin Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung.

parTU besuchte den 91-jährigen Physik-Professor der TU Berlin, Heinrich Gobrecht, und lauschte einer Physikabsolventen-Rede aus dem Jahr 1999. Außerdem nehmen wir Sie mit auf eine Entdeckungsreise ins Reich der Zwerge - die Nanotechnologie an der TU Berlin. Weitere Infos und Termine zum Jahr der Physik finden Sie unter http://www.physik-2000.de

Ich war aus Leidenschaft Physiker

TU-Alumni Prof. Dr. Heinrich Gobrecht erinnert sich an die Anfangszeit einer universitären Disziplin

"Sie wollen Physik studieren? Das gibt es nicht!", diese Antwort bekam Heinrich Gobrecht von seinem Bremer Schuldirektor. Es war 1927 und bis dahin hatten bereits elf deutsche Wissenschaftler den Physik-Nobelpreis bekommen. Der Gymnasiast wählte notgedrungen den Umweg: 1928 bis 1931 belegte er zunächst Elektrotechnik und später von 1932 bis 1935 Physik in Göttingen und Marburg. "In Dresden, wo ich als Doktorand tätig war, wurde die Diplom-Prüfung für Physik sogar erst 1934 eingeführt", erinnert sich der 91-jährige Professor mit einem Schmunzeln an die Anfangszeit einer universitären Disziplin, die man heute mit Recht als die Leitwissenschaft des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

Relativitätstheorie, Quantenmechanik, Kernspaltung, Transistoreneffekt bis hin zum expandierenden Universum - die Errungenschaften der Physik veränderten unser Weltbild in nur wenigen Jahrzehnten.

Zeitzeuge und Mitgestalter dieser Entwicklung ist Heinrich Gobrecht, der 1948 einen Ruf an die wiedereröffnete TU Berlin bekam und dort 1977 seine Wissenschaftlerlaufbahn als Emeritus beendete. 250 Reichsmark Grundgebühren und Kolleggeld für die Professoren musste er als Student für ein Semester entrichten. "Umgerechnet wären das heute 10.000 DM pro Jahr", so der Physiker, der u. a. Autor und Herausgeber des vierbändigen "Bergmann-Schäfer Lehrbuch der Experimentalphysik" ist.

"Wir hatten aber doch traumhafte Bedingungen. In Göttingen lehrten die besten Physiker der Welt: An einer Vorlesung des Nobelpreisträgers James Franck nahmen zwischen sechs und acht Studenten teil, darunter auch Carl Friedrich von Weizsäcker. An heißen Tagen verlegten wir sie einfach ins Stadtbad. Die Veranstaltungen waren immer geprägt von intensiven Fachdiskussionen." Um sich diesen Luxus leisten zu können, arbeitete der junge Gobrecht als Lokomotivheizer und im Kalihafen von Bremen. Nach seiner Promotion wechselte er in die Wirtschaft und war von 1938 bis Kriegsende Leiter der Abteilung Fernsehröhren bei Löwe-Opta in Berlin. Seiner Forschung haben wir den weißen Bildschirm zu verdanken.

Die Nachkriegswirren verschlugen ihn ins Thüringische und Sächsische. Dort wurde er sogar Bürgermeister von Oberlungwitz und baute in Arnstadt ein Siemens-Fernsehröhrenwerk mit auf. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion folgte er jedoch dem Ruf nach Berlin (West) und setzte sich samt Familie und Hausstand aus der sowjetischen Besatzungszone ab. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stand nun der Aufbau des 2. Physikalischen Instituts. Er wurde nicht nur Institutsleiter, sondern auch zwischen 1956 und 1959 Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät. "In der TU-Anfangszeit haben wir mit primitivsten Mitteln Versuchseinrichtungen aufgebaut, um Experimentalphysik zu betreiben. Neues zu finden - egal unter welchen Bedingungen - das war das Schöne an meinem Beruf. Ich war aus Leidenschaft Physiker", so der TU-Alumni.

Der Fachbereich 4 Physik würdigte die Leistungen von Prof. Dr. Heinrich Gobrecht auf der Absolventenfeier im Dezember 1999. Zugleich wurde sein 90. Geburtstag feierlich begangen.

Wie man zum Überzeugungstäter wird

Auszüge aus einer Absolventenrede anlässlich der Alumni-Feier des Fachbereichs 4 Physik am 3. Dezember 1999 an der TU Berlin

Herr Präsident, Herr Dekan, lieber Herr Prof. Gobrecht, liebe Gäste und vor allem liebe Mit-Absolventen,

[…] als ich mich vor mittlerweile acht Jahren an der Uni Kiel für Physik einschrieb, war ich zwar zu allem entschlossen, hatte aber eigentlich keine Ahnung, was auf mich zukommt. […] Meine ersten Unijahre waren von drei Erfahrungen geprägt: von Einschüchterungsmaßnahmen seitens einiger Professoren, von der Annahme, dass alle anderen schlauer sind als ich und mir wurde gewahr, dass Uni-Mathematik mit Schul-Mathematik gar nichts zu tun hatte. Mit großen Schritten bin ich durch das Grundstudium geeilt. Übrigens war ich im dritten Semester (1992/93), als plötzlich das Gespenst umging: Wir werden alle arbeitslos, wer Physik studiert, ist ein Spinner! Irgendwie, ich weiß nicht wie, habe ich genügend verzweifelten Mut aufgebracht, das zu ignorieren.[…] Meine Diplomarbeit habe ich dann an der TU Berlin in der Gruppe von Prof. Thomsen unter Obhut von Dr. Alejandro Goni gemacht. Dr. Goni besitzt die Gabe, Forschung auf internationalem Standard zu

betreiben und sich trotzdem über jedes Neue zu freuen wie ein Kind zu Weihnachten. Damit eröffnete sich für mich eine neue Dimension: Physik macht Spaß! Forschen ist richtig Klasse! Natürlich habe ich lustige und interessante Praktika gemacht. Aber morgens ins Labor zu krabbeln, um Transportkennlinien von dünnen Supraleiterschichten aufzunehmen und Sprünge in den Kurven zu untersuchen, die in der Fülle und Reproduzierbarkeit wahrscheinlich niemand vor mir gesehen hat - das ist etwas ganz anderes! Diese Faszination am Entdecken ist ein sehr starker Motor. Tatsächlich habe ich den Eindruck, Physiker sind in der Regel Überzeugungstäter; aus Versehen wird niemand Physiker. […] Mein Schlusswort an die Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter: Nutzen Sie die Chance und entwickeln Sie den Fachbereich zusammen mit den Studenten weiter. Nehmen Sie die Studis in die Pflicht! Diejenigen, die heute ihr Diplom beendet haben, sind morgen Ihre Partner und Kollegen! Es ist Ihr ureigenstes Interesse, zuzuhören, wenn Studis über ihr Studium maulen! Studenten, mischt Euch ein und überlasst die Dinge nicht anderen! Und das eigentliche Schlussworte richte ich an meine Kommilitonen: Bewahrt Euch die Freude an dem, was Ihr macht, bewahrt Euch den Physiker oder die Physikerin in Euch, selbst wenn Ihr Programmierer, Unternehmensberater, Politiker oder sonst irgendwas seid!

Matthias Danckwerts, Doktorand am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, E-Mail: danckwerts@fhi-berlin.mpg.de

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