Täglich ruft der Jackpot

Junge Finanzjongleure in Berlin - eine Studenteninitiative

parTU
Werkstatt

Finanzjongleure - viel wurde über sie geschrieben, über Makler in London, Derivatenhändler in Hongkong. parTU traf einen in Berlin - Vorstandsmitglied des Berliner Börsenkreises.

Oft sah man den Werbespot: Nein, sagt der alte Herr im Nobelwagen, eine bestimmte Aktie könne er nicht empfehlen, aber man sollte einmal über Aluminium nachdenken.

Das ist der Rat eines Börsengurus: nie konkret, aber mit viel Gespür für das, was kommen könnte.

Der Kleinanleger rauft sich das Haar. André Kostolany lächelt. Die Börse besteht eben aus 90 Prozent Psychologie.

Immer mehr Deutsche erfreuen sich an steigenden Diagrammen. Doch diese sind nur der sichtbare Teil dessen, was sich an Finanzplätzen, in Computern und den Köpfen wild gestikulierender Börsianer abspielt. Herrscht auf dem Berliner Finanzparkett ein ebensolches Treiben? Ich ging auf Erkundungstour.

Im Foyer des Ludwig-Erhardt-Hauses in Berlin treffe ich Tobias. Tobias Tenner ist 21 Jahre alt, wohl einer der jüngsten Makler im Berliner Freiverkehr und ziemlich businessmäßig gekleidet. Er, Mitglied im Vorstand des Berliner Börsenkreises, will mir den hauptstädtischen Finanzplatz zeigen.

Die Studenteninitiative "Berliner Börsenkreis", die 1986 gegründet wurde, habe mittlerweile mehr als 500 Mitglieder und ist an allen drei Berliner Universitäten vertreten, erzählt er. In den Basic-Seminaren kann der Newcomer erfahren, was Derivate sind, was Asset Allocation und ob bei einer Hausse die Kurse steigen oder fallen. Nicht nur Firmenvertreter werden eingeladen, auch der alte Herr fuhr schon in Berlin vor.

Während Tobias mir all das erzählt, schaue ich mich neugierig nach der hektischen Börse um. Ein Knopfdruck von meinem Begleiter - er kennt sich aus - , eine diskret surrende Drehtür, und wir befinden uns mitten drin - mitten drin im eher gemütlich verlaufenden Berliner Aktienhandel. Hier sollen also pro Tag mehr als eine Milliarde Mark gehandelt werden? Skeptisch schaue ich ins Rondell. Dort sitzen an die 15 Börsianer. Auch den Bildschirmen merkt man keinerlei Hektik an. Die Makler telefonieren mit gedämpfter Stimme und werfen Eindringlingen wie mir verstohlene Blicke zu. Ich verstehe, die Geldwelt lässt sich nur ungern in die Karten schauen.

Schon drückt Tobias wieder den Knopf, und wir verlassen das Parkett mit einem sanften Schwung durch die Drehtür. Diskretion gehört eben zum Geschäft.

Meine Enttäuschung sieht man mir wohl an. Tobias erklärt: "Berlin ist keine Präsenzbörse, viele Makler sitzen in ihren Büros." So auch er. Sein Tag beginnt um 5.30 Uhr, vier bis fünf Stunden Schlaf seien der Durchschnitt. "Die Arbeit, der Verein", so mein Gesprächspartner, "das spannt ein, und es kommt schon vor, dass ich an der Ampel einnicke."

Aber das Spiel mache Spaß - und das gehört bei dieser Spezies wohl dazu, genauso wie die klaren Zukunftsvorstellungen: "Ewig werde ich das nicht machen. Jetzt nach dem Abitur kann ich gut Geld verdienen, einige Jahre noch." Etwas Kreatives soll folgen, ein Studium auch.

Tobias erzählt von Rohstoffpreisen, vom Jahr-2000-Problem in den Köpfen der Händler, vom Wert der Information, von Gewinnern und Verlierern und fragt beiläufig, ob auch ich Aktien hätte. Meine Telekom-Anteile würde er jetzt abstoßen, die Fonds aber halten. Dann schaut er auf die Uhr: Die nächste Gruppe will in den Börsenkreis eingelassen werden. Wir verabschieden uns. Beim Hinausgehen überlege ich, ob ich nun abstoße, halte oder dazukaufe - vielleicht sollte ich demnächst bei einem Basic-Seminar vorbeischauen und Kostolany lesen.

Datenbank:

Der Berliner Börsenkreis ist als Verein an der TU Berlin eingetragen. Studentische Mitglieder zahlen 5 Mark pro Monat. Am 4. Dezember 1999 findet der nächste Aktionstag statt.

Berliner Börsenkreis e.V.
Hardenbergstraße 9A
10623 Berlin
Tel.: 030/315051-07/ -09
Infoline 030/31505108
E-Mail: vorsitz@berliner-boersenkreis.de
Internet: http://www.berliner-boersenkreis.de und http://www.berlinerboerse.de

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