TU Berlin - Medieninformation Nr. 94 - 2. Juni 1995

"Leben im Paradies der Geradheit"

Ausstellung über Hilde Wulff an der TU Berlin


Vom Leben einer Frau, die in Hamburg ein Heim für behinderte Kinder führte und trotz ihrer eigenen Gefährdung als behinderter und im Widerstand tätiger Frau den Faschismus überlebte, erzählt eine Ausstellung, die in der erziehungswissenschaftlichen Bibliothek der TU Berlin gezeigt wird.

Das Leben von Hilde Wulff (1898-1972) und ihre Arbeit für und mit behinderten Kindern im Nationalsozialismus wird mit Fotographien und Dokumenten erzählt. Daneben werden auch Materialien ausgestellt, die im Zusammenhang stehen mit der Entwicklung der "Krüppelfürsorge" und Orthopädie der Weimarer Republik und deren Fortsetzung im Dritten Reich, ohne die Hilde Wulffs Lebenswerk nicht zu verstehen wäre.

Veranstaltet wird die Ausstellung Hilde Wulff "Leben im Paradies der Geradheit" von der "Arbeitsstelle Integration" gemeinsam mit dem Fachbereich Erziehungswissenschaften der TU Berlin (Prof. Dr. Jutta Schöler und Petra Fuchs) und der erziehungswissenschaftlichen Bibliothek. Die Ausstellung ist rollstuhlzugänglich, alle Exponate sind aus Sitzhöhe gut zu betrachten.

Zeit: 6. Juni - 30. November 1995, Mo. - Fr. 9.00 - 16.00 Uhr, Eintritt frei

Ort: Abt. Erziehungswissenschaften der Universitätsbibliothek der TU Berlin, Raum FR 7528, Franklinstr. 28/29, 10587 Berlin

Eröffnung: 6. Juni 1995, 16.00 Uhr in der Bibliothek

Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben auf eine bestimmte Sache ausrichten und dabei enorme Kräfte aufbringen, um diese "Sache" vor allen Gefahren zu schützen. Hilde Wulff (1898-1972) war so ein Mensch. Ihr Engagement galt körperbehinderten Kindern, deren Probleme und Leiden sie am eigenen Körper erlebte. Hilde Wulff erkrankte mit zwei Jahren an Kinderlähmung und ihre Kindheit und Jugend waren geprägt von langen Klinikaufenthalten und Operationen. Aufgrund ihrer eigenen Entbehrungen entwickelte sie schon sehr früh den Wunsch, als Erwachsene Heime für behinderte Kinder zu gründen, in denen sie medizinische und schulische Betreuung erfahren sollten.

Dieses in der Jugend gesetzte Ziel hat sie ihr Leben lang verfolgt. Nach einer Ausbildung zur Jugendfürsorgerin begann sie "Krüppelkinderheime" einzurichten. Parallel dazu war sie aktives Mitglied in dem "Selbsthilfebund der Körperbehinderten e.V.", dem ersten Zusammenschluß körperbehinderter Menschen. Zu Beginn des Nazionalsozialismus hegte Hilde Wulff die Hoffnung, daß Körperbehinderte als gleichwertige Menschen anerkannt würden und schloß sich dieser politischen Richtung an. Schnell jedoch erkannte sie das Trügerische dieser Hoffnung und distanzierte sich von den Nazis. Bereits 1931 hatte sie ein Haus in Hamburg-Volksdorf gekauft, in dem sie abseits vom Zeitgeschehen weiterarbeiten konnte. Hier lebte sie von 1935 bis 1945 mit 20 Kindern, einer Lehrerin und mehreren Erzieherinnen. Alle Heiminsassen überlebten den Nationalsozialismus unbeschadet, obwohl ihnen zweimal der "Abtransport" drohte.

Nach dem Krieg waren alle Reserven, die finanziellen und die körperlichen, aufgebraucht, aber Hilde Wulff arbeitete trotzdem weiter, sah sich jedoch nach Möglichkeiten der weiteren finanziellen Sicherung ihres Heimes um. 1964 übergab sie ihr Heim dem Diakonischen Werk Hamburg, blieb jedoch weiterhin die Leiterin. Teilweise führte sie die nötigen Geschäfte vom Bett aus. Hilde Wulff starb 1972.


Weitere Informationen erteilt Petra Fuchs, Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften der TU Berlin, Tel.: 030/314- 23383.
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