Ingenieurwissenschaftler der TU Berlin entwickeln ein neuartiges Unterstützungssystem für erkrankte Herzen
Herz-Kreislauferkrankungen zählen zu den häufigsten Todesursachen in den modernen Industriestaaten. In vielen Fällen ist das Herz allein betroffen - bei einem im übrigen oft guten Gesundheitszustand des Patienten. Die einzige Überlebenschance für solche Patienten ist häufig nur eine Herztransplantation. Allerdings gibt es bei weitem nicht so viele Spenderorgane wie nötigt. 1994 beispielsweise wurden in Deutschland etwa 450 Spenderherzen transplantiert, benötigt würde jedoch ungefähr das zwanzigfache. Für die Patienten bedeutet das warten - warten auf ein neues Herz und hoffen aufs Überleben.
In der bangen Zeit bis zur Operation muß das schwache Herz des Patienten künstlich in seiner Pumpfunktion unterstützt werden. Herzunterstützungssysteme werden in der klinischen Praxis seit etwa zehn Jahren eingesetzt. Bisher waren das mechanische, luftbetriebene Pumpen, die jedoch nur für eine sehr begrenzte Einsatzdauer von etwa zwei bis drei Monaten geeignet sind. Diese Antriebssysteme sind so groß, daß sie nicht in den Körper implantiert werden können und den Patienten in seiner Bewegungsfreiheit einschränken.
Ein besseres künstliches Unterstützungssystem zu entwickeln und damit diesen Menschen zu helfen, haben sich Wissenschaftler der TU Berlin zum Ziel gesetzt. Es galt, ein System zu entwickeln, das implantiert werden kann und das dem Patienten ein weitgehend selbständiges Leben ermöglicht. Unter der Federführung von Professor Dr. Klaus Affeld vom Hermann-Föttinger-Institut für Thermo- und Fluiddynamik der TU Berlin ist es den Wissenschaftlern nach vierjähriger Forschung gelungen, diese Anforderungen zu erfüllen. Auf der Hannover-Messe im April diesen Jahres stellten sie das Labormodell des Herzunterstützungssystems nun erstmals der Öffentlichkeit vor.
Das System ist mit seinen Abmessungen von zwölf mal fünfzehn Zentimeter für eine Implantation klein genug, um im Bauchbereich in einer Tasche unter der Haut untergebracht zu werden. Mit einem Volumen von 600 ml nimmt es ausgesprochen wenig Platz in Anspruch. Das System bedeutet daher für den Patienten keine wesentliche körperliche Beeinträchtigung mehr. Der Vorteil des neuen Systems gegenüber den älteren mechanischen Pumpen ist offensichtlich: Der Patient ist nicht mehr an eine aufwendige Apparatur angeschlossen, er kann sich frei bewegen und ein in Grenzen normales Leben führen.
Das besondere an dem neuentwickelten Herzunterstützungssystem ist neben der geringen Größe die Betriebsdauer. Zur Zeit liegt die maximale Einsatzdauer der gebräuchlichen Herzunterstützungssysteme bei etwa einem Jahr. Das Herzunterstützungssystem der TU-Wissenschaftler sieht hingegen eine Betriebsdauer von fünf Jahren vor. Langfristig schwebt der Forschergruppe um Professor Affeld sogar vor, daß das System den Patienten das ganze weitere Leben über begleiten kann. Damit kann das langwierige und belastende Warten auf ein Spenderherz entfallen. Das schwache Herz verbleibt im Körper, würde aber auf Dauer von der "neuen Pumpe" unterstützt werden. Das wäre auch ein entscheidender Fortschritt gegenüber den bisherigen Systemen, die alle nur die Zeit bis zur Transplantation überbrücken. Professor Affeld räumt aber ein, daß es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Das System befindet sich noch in der Testphase. Voraussichtlich wird es noch ein Jahr dauern, bis die Entwicklung eines Prototyps abgeschlossen sein wird.
Während das Herzunterstützungssystem der TU-Wissenschaftler die praktische Erprobung noch vor sich hat, ist die technische Entwicklung des Systems weitgehend abgeschlossen. "Die entscheidende technische Neuheit", so erläutert Professor Affeld, "ist die Energiewandlung". Mit nur einem einzigen bewegten Teil ist es nun möglich, die elektrische Energie in mechanische Energie, genauer gesagt in Pump-Energie umzuwandeln. Dieses Bauteil, das von einer Übertragungsflüssigkeit (Transmitterfluid) umgeben wird, sorgt mit einer periodischen Verdrängung der Flüssigkeit für eine Pumpbewegung. Dadurch wird die Volumenänderung der anliegenden Blutkammer des Unterstützungssystems erzeugt. Das Blut, das der linken Herzkammer entnommen wurde, wird so aus der Blutkammer über ein künstliches Blutgefäß wieder in die Aorta zurückgepumpt.
Voraussetzung für diese Entwicklung war die Integration der einzelnen Bauteile wie Kreiselpumpenlaufrad, Anker des Elektromotors, Axialanker und Lager zu einem einzigen bewegten mechanischen Element. Im Gegensatz dazu haben die in den USA entwickelten, ebenfalls implantierbaren Systeme Novacor und Thermo Cardiosystem Inc. (TCI) mehrere bewegte mechanische Bauteile. Daraus ergeben sich Reibungsprobleme. Folglich verschleißen die Bauteile nach einer gewissen Zeit. Im Gegensatz zu anderen technischen Geräten ist hier jedoch - aus verständlichen Gründen - eine Wartung nicht möglich. Ein Verschleiß muß daher ganz vermieden werden. Das wird bei dem System der TU-Wissenschaftler erreicht, weil das einzige bewegte Bauteil infolge der konstanten Drehrichtung hydrodynamisch gelagert wird. Das heißt, es kommt zu keinen mechanischen Berührungen, da das Bauteil in einem Flüssigkeitsfilm schwimmt. Dadurch wird eine Zuverlässigkeit des Systems erreicht, die für die Wissenschaftler bei der Konstruktion höchste Priorität hatte.
Ein weiteres Problem, das von den TU-Wissenschaftlern gelöst wurde, ist die Hautdurchleitung, das heißt die Verbindungsleitung zwischen dem Unterstützungssystem im Körper und der Energiequelle, die sich außerhalb des Körpers befindet. Leitungen durch die Haut in den Körper können zu Infektionen führen, insbesondere dann, wenn sie einen großen Durchmesser haben. Dies gefährdet die Gesundheit des Patienten. Es gilt also, je dünner die Verbindungen, desto geringer die Infektionsgefahr. Die etwa 15 mm starken Hautdurchleitungen der amerikanischen Systeme Novacor und TCI sind immer noch zu dick. Sie können nicht dauerhaft im Körper verbleiben. Demgegenüber benötigt das System der TU-Wissenschaftler lediglich ein etwa drei mm dickes Verbindungskabel für die Zufuhr elektrischer Energie. Die Infektionsgefahr bei diesen dünnen Verbindungsleitungen ist demzufolge gering.
Hier zeigt sich deutlich ein Vorteil des neuartigen Antriebssystems der TU-Wissenschaftler: Die benötigte elektrische Energie läßt sich vergleichsweise leicht von außen durch die Haut in den Körper einbringen. Die für den Antrieb notwendigen Batterien sowie die Steuerelektronik trägt der Patient außerhalb des Körpers an einem Gürtel. Auf diese Weise sind sie leicht austauschbar und bieten dem Patienten ein größeres Maß an Sicherheit. Mit dieser Art der Energieversorgung ist im Gegensatz zu den jetzigen Systemen auch ein Duschen und Baden möglich.
Es gibt aber noch einen weiteren, nicht unwesentlichen Vorteil des neuen Antriebssystems. Während beispielsweise das Pumpen bei dem System Novacor überdeutlich zu vernehmen ist, wird das System der TU-Wissenschaftler im implantierten Zustand überhaupt nicht zu hören sein. Der Patient muß nicht mehr mit einem dauernden, lauten Klopfgeräusch leben und kann sich gleichzeitig unbeschwerter in seiner Umgebung bewegen.
Die Kosten für ein implantierbares System betragen heute etwa 180.000 DM. Bei höherer Stückzahl wäre hier aber eine deutliche Preissenkung zu erwarten. Zu beachten wäre auch, daß bei einem rechtzeitigen Einsatz des Herzunterstützungssystems die gesamtgesellschaftlichen Kosten niedriger anzusetzen wären als bei einer konservativen Behandlung. Schließlich fallen auf diese Weise die teuren Krankenhauskosten für eine monatelange Versorgung weg.
Gefördert wurde das interdisziplinäre Forschungsprojekt mit dem Namen "Herzunterstützungs-system mit einem neuartigen hydroelektrischen Antrieb" von der Technischen Universität Berlin mit insgesamt 1,3 Millionen DM und von der Freien Universität Berlin mit 600.000 DM. Die Förderung läuft allerdings im Juli 1995 aus. Die Forschergruppe benötigt aber weitere Forschungsmittel, um das Unterstützungssystem zur Klinikreife zu bringen. Es muß noch ein Regler für das System entwickelt werden und weiterhin muß die Konstruktion unter dem Gesichtspunkt der Fertigung modifiziert werden.
Insgesamt sind fünf Institute der TU Berlin an dem Interdisziplinären Forschungsprojekt (IFP) beteiligt: das Hermann-Föttinger-Institut für Thermo- und Fluiddynamik (Fachbereich 10 Verkehrswesen und Angewandte Mechanik), das Institut für Elektrische Maschinen (Fachbereich 12 Elektrotechnik - Prof. Dr. Rolf Hanitsch), das Institut für Maschinenkonstruktion (Fachbereich 11 Maschinenbau und Produktionstechnik - Prof. Dr. Helmut E. Siekmann), das Institut für Meß- und Regelungstechnik (Fachbereich 6 Verfahrenstechnik, Umwelttechnik, Werkstoffwissenschaften - Prof. Dr. Wolfgang Thelen) sowie das Institut für Nichtmetallische Werkstoffe (ebenfalls Fachbereich 6 - Prof. Dr. Helmut Käufer). Die klinische Beratung wurde von Prof. Dr. med. Roland Hetzer und Dr. med. Ulf Schliesser vom Deutschen Herzzentrum Berlin übernommen.
Christian Hohlfeld