Luftbrückenplanung wurde Vorbild für Luftfahrt
Die Berliner Luftbrücke 1948/49 war nicht nur ein Vorgang von politischer Tragweite, sondern auch ein Meilenstein in der Geschichte der modernen Luftfahrt. Eine ganze Reihe von Methoden und Erkenntnissen wurde zum Teil noch während der Luftbrücke, besonders von zivilen amerikanischen Fluggesellschaften und Flughäfen, übernommen. Das betraf in erster Linie die Flugsicherung und im technischen Bereich die Wartung der Flugzeuge. Darüber hinaus beeinflußten die Erfahrungen während der Berliner Luftbrücke und die daraus gewonnenen Erkenntnisse die Entwicklung von neuen Frachtflugzeugen. So erhielten in der Folgezeit die Maschinen zum Beispiel zur schnellen und problemlosen Be- und Entladung entsprechende Konstruktionen.
Im Grunde war eine Versorgung aus der Luft, wie sie während der Blockade Berlins praktiziert wurde, nichts vollkommen Neues. Bereits im Zweiten Weltkrieg gab es Vorläufer, auch wenn sie nicht die Dimensionen der Berliner Luftbrücke erreichten. Besonders während der Hump-Luftbrücke von Indien nach China 1942 - 1945 sind bereits die Methoden in Bezug auf Lufttransport und Wartung der Flugzeuge eingeführt und erfolgreich erprobt worden - zum Teil von den gleichen Männern, die 1948/49 dann für den großen Erfolg der Berliner Luftbrücke gesorgt haben.
Der tägliche Einsatz von ca. 380 Transportflugzeugen der US Air Force, der Royal Air Force und von einigen zivilen britischen Chartergesellschaften während der Berliner Luftbrücke war ein äußerst komplexer Vorgang. Er erforderte eine sorgfältige und professionelle Organisation. Großen Anteil an dieser eher im Hintergrund agierenden Organisation hatte der amerikanische Major General William H. Tunner. Er war vom Oberkommando der US Air Force nach Europa geschickt worden, um die in den ersten Wochen der Luftbrücke offenkundig gewordene unzureichende Organisation der Luftbrücke in eine möglichst reibungslos funktionierende Operation zu verwandeln.
Mit einem runden Dutzend Spezialisten für Lufttransport als Kern seines Stabes, von denen ungefähr die Hälfte schon unter ihm bei der Hump-Luftbrücke tätig gewesen war, kam Tunner nach Wiesbaden und reorganisierte zunächst sehr erfolgreich und in bemerkenswert kurzer Zeit den amerikanischen Teil der Luftbrücke. Auf Tunners Anregung hin gelang es General Curtis LeMay, damals Kommandierender General der amerikanischen Luftstreitkräfte in Europa und Tunners direkter Vorgesetzter, in Verhandlungen mit Vertretern der Royal Air Force zu einem einheitlichen Kommando aller Aktivitäten der Luftbrücke zu kommen.
Aufgabe für die verantwortlichen Planer war es, den Verkehr in den Luftstraßen so zu planen und durchzuführen, daß eine möglichst große Zahl von Flugzeugen bei einem möglichst hohen Grad an Sicherheit die Korridore passieren konnte. Um das zu erreichen, wurde die Startzeit mit einer Toleranz von maximal einer Minute festgelegt. Außerdem wurden präzise Geschwindigkeit, Höhe, Steigungsrate und Flugrichtung vorgegeben und das exakte Passieren von Kontrollpunkten verfolgt. Erstmals im Luftverkehr wurden genaue Berechnungen der Flugzeiten für jeden Flug angestellt. Die Piloten erhielten Anweisung, nach einem mißglückten Landeanflug mit der kompletten Ladung sofort zur Ausgangsbasis zurückzukehren. Niemand sollte eine Warteschleifen drehen, um jeglichen Stau in der Luft zu vermeiden. Aufgrund dieser Vorgaben konnte alle drei Minuten eine Maschine starten. Auch heute ist es nur deshalb möglich, den dichten Luftverkehr mit kurzen Zeitabständen aufrecht zu erhalten, weil in allen Phasen des Fluges die Geschwindigkeit einer Maschine präzise vorgegeben und damit auch längere Flüge bis auf die Minute genau berechnet werden können.
Weitgehend reibungslos lief der Betrieb der Luftbrücke jedoch erst ab Januar 1949, als am Flughafen Tempelhof das weitreichende Streckenradar in Betrieb genommen wurde. Ab diesem Zeitpunkt konnten Flugzeuge schon sehr früh, rund 80 Kilometer vor dem Eintritt in den Berliner Luftraum, in den Korridoren erfaßt und identifiziert werden.
Ebenso wie das beschriebene Flugverfahren wurden die Wartungsmethoden von den zivilen amerikanischen Fluggesellschaften noch während der Luftbrücke übernommen. Das sogenannte Fließbandverfahren wurde zwar schon während des Zweiten Weltkrieges eingeführt und erfolgreich erprobt, aber der großen Erfolg kam erst mit der Berliner Luftbrücke. Früher überprüfte und reparierte ein festes Team jede Maschine, wobei jeder Mechaniker praktisch fast alles können mußte. Nun durchlief das Flugzeug - wie an einem Fließband - mehrere Stationen von Technikern, die auf Elektrik, Triebwerke oder anderes spezialisiert waren. Dadurch dauerte die Wartung wesentlich kürzer und wurde sogar qualitativ besser, gerade weil Spezialisten die entsprechenden Einzelarbeiten durchführten. Voraussetzung für dieses Verfahren war, daß nicht nur der Zustand des Flugzeugs insgesamt statistisch erfaßt wurde, sondern auch die Einzelteile wie etwa Betriebsstunden des Triebwerkes. Auf Basis der Statistik konnte der Zeitpunkt der nächsten Wartungen Wochen im voraus geplant werden. Somit war sichergestellt, daß die voraussichtlich notwendigen Einzelteile vorhanden waren, und das Flugzeug nicht wegen fehlender Ersatzteile am Boden bleiben mußte.
Wolfgang Huschke
Wolfgang Huschke hat auf dem Kolloquium der TU Berlin zum Luftbrückenjubiläum einen Vortrag über "Die Bedeutung der Berliner Luftbrücke für die Entwicklung des modernen Lufttransports" gehalten. Er hat unlängst an der TU Berlin zu diesem Thema promoviert.