Berlin braucht eine starke Persönlichkeit für die Ressorts Wissenschaft und Kultur
Mit Bedauern habe ich als Vorsitzender der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen zur Kenntnis genommen, dass die Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur ihren Rücktritt erklärt hat. Mit Frau Thoben waren die Hoffnungen verbunden, eine Senatorin gewonnen zu haben, die sich auch für die Interessen von Wissenschaft und Forschung in der Stadt stark macht. Gerade diese Bereiche haben für die längerfristige Entwicklung der Hauptstadt einen gewichtigen Stellenwert, weil sie in vielen innovativen Berufsfeldern die dringend benötigten neuen Arbeitsplätze schaffen.
In der jetzigen öffentlichen Diskussion um den Rücktritt von Frau Thoben wird leider vergessen, dass das Kulturressort nur der kleinere Teil des Gesamtressorts der Senatorin war, wenn auch derjenige, bei dem die Finanzprobleme in den letzten Wochen eine besondere Dynamik entwickelt haben. In den Blickpunkt rückt dabei leider nicht mehr, dass die Hochschulen in den vergangenen Jahren finanziell weit mehr "bluten" mussten als der Kulturbereich und dass die Kultur in Berlin unter dem ehemaligen Senator Radunski teilweise auf Kosten von Wissenschaft und Forschung unterstützt wurde. Dieses "Ausspielen" des einen Ressorts gegen das andere hatte für die Berliner Hochschulen fatale Folgen. Zur Erinnerung:
Bei den Verhandlungen innerhalb des Berliner Senats über pauschale Minderausgaben für das Haushaltsjahr 2000 sind auch die Hochschuletats in die Kürzungsbasis einbezogen worden, obwohl sie nach Abschluss der Hochschulverträge nicht mehr antastbar sein sollten. Damit wurde der Bereich Wissenschaft und Forschung doppelt zur Konsolidierung des Budgets herangezogen. Denn die Hochschulverträge mit dem Land Berlin sahen bereits eine Kürzung der Hochschuletats von 1999 auf 2000 um 45 Mio. DM vor. Sie sahen weiter vor, dass die Tariferhöhungen und inflationsbedingten Kostensteigerungen 1997 bis 2000 von den Hochschulen selbst erbracht werden. Wenn nun noch einmal, wie vom Berliner Senat weiterhin geplant, im Bereich Wissenschaft und Forschung gekürzt wird und zwar speziell beim Hochschulbau, dann ist das nicht nur eine eklatante Ungleichbehandlung gegenüber allen anderen Ressorts des Senats, es widerspricht auch diametral allen von den Mitgliedern des Berliner Senats abgegebenen Erklärungen über den Stellenwert von Wissenschaft und Forschung für die künftige Entwicklung Berlins.
Die Absicht des Senats, den so genannten Überbrückungsfonds, der aus Grundstücksverkäufen der Hochschulen gespeist werden soll und für kurzzeitige Etatlücken der Hochschulen zur Verfügung stehen soll, mit 27 Mio. DM zu belasten, muss aus Sicht der Berliner Hochschulrektoren und präsidenten als ein Bruch der Hochschulverträge angesehen werden, die die Verwendung dieses Fonds eindeutig festgelegt haben.
Die Hochschulrektoren und -präsidenten sind nicht bereit, diesen Vertragsbruch hinzunehmen.
Von einer neuen Wissenschaftssenatorin bzw. von einem neuen Wissenschaftssenator erwarten die Hochschulleitungen in den Haushaltsverhandlungen für die Jahre 2000 und 2001, die sich abzeichnende katastrophale Entwicklung für die Hochschulen zu verhindern. Dies kann nur eine sehr starke und durchsetzungsfähige Persönlichkeit sein, die die Interessen von Wissenschaft und Forschung zu vertreten weiß. Bei einem "reinen Kultursenator" wäre das nicht der Fall. Der Rücktritt der Senatorin zeigt auch, dass die tatsächlichen Prioritäten im derzeitigen Berliner Senat offenbar andere sind, als sie in vielen Sonntagsreden über die besondere Bedeutung von Wissenschaft und Forschung für die Entwicklung Berlins anklingen. Wenn man überhaupt eine ernst zu nehmende Person für dieses Ressort gewinnen will, wird man die tatsächlichen Prioritäten zuvor glaubhaft korrigieren müssen.
Prof. Dr. Hans-Jürgen Ewers
Vorsitzender der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen