Viele Geodäten aus der westeuropäischen Privatindustrie und Verwaltung haben im russischen Novosibirsk studiert. Nach der Wende war der wissenschaftliche Austausch auf diesem Gebiet so gut wie eingeschlafen. Das
Institut für Geodäsie und Geoinformationstechnik der TU Berlin schloss jetzt einen Kooperationsvertrag zum Austausch in Lehre und Forschung mit der Sibirischen Akademie für Geodäsie in Novosibirsk ab, der größten geodätischen Institution der Welt. Für die TU Berlin ist diese Kooperation eine willkommene Ergänzung der bereits bestehenden Verträge mit Istanbul, Melbourne und Calgary.
Mit rund 6000 Studierenden sowie 350 Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern ist die staatliche Akademie die zentrale sibirische Ausbildungsstätte für Infrastruktur- und Bodenordnungsmaßnahmen, die Nutzung natürlicher Bodenschätze (zum Beispiel Erdöl), die Entwicklung optischer Technologien sowie die Umweltüberwachung mittels Satellitenfernerkundung. Viele Einwohner der Region sind deutschsprachig, was bereits in der Vergangenheit zu engen Kontakten mit ostdeutschen Institutionen führte. Um verlässliche Daten über das riesige Gebiet östlich des Urals bis zum Pazifik zu gewinnen, sind die modernen Methoden der Satellitengeodäsie von großer Bedeutung. Es besteht daher ein enormes Interesse der russischen
Akademie an einer Zusammenarbeit mit der TU Berlin.
Geoinformationen sind unerlässlich für eine zukunftsweisende Stadt- und Raumentwicklung oder Verkehrsstruktur. Doch sie müssen genau und zuverlässig sein sowie sachgerecht verknüpft werden, um effizient genutzt werden zu können. Für die hochgenaue Navigation bilden das Globale Positionierungssystem (GPS) oder das russische GLONASS eine vertrauenswürdige Grundlage. Kombiniert mit Methoden des "Synthetic Aperture Radar" können außerdem regionale Deformationen der Erdoberfläche erfasst werden, die natürliche tektonische wie zivilisatorische Ursachen haben können (zum Beispiel Erdölförderung). Der Anstieg des Meeresspiegels - Messdaten erhält man durch die so genannte Satellitenaltimetrie - und die Veränderungen von Meeresströmungen im Nordpazifik können künftig mit Laser statt mit Radar gemessen werden und klimarelevante Informationen liefern. Dazu müssen mit Hilfe weiterer Satellitenmissionen und -messverfahren (GRACE, GOCE) die Änderungen des globalen Erdschwerefeldes genau bestimmt werden.
Auch auf dem Gebiet der Theoretischen Geodäsie, einem Teilgebiet der Angewandten Mathematik zur Analyse von räumlich/zeitlichen Messdaten, soll intensiv zusammengearbeitet werden. Das Fachgebiet Astronomische und Physikalische Geodäsie entwickelt beispielsweise Verfahren zur anschaulichen
Darstellung abstrakter mathematischer Formeln, die als effiziente Grundlage zum Aufbau geometrisch-physikalischer Modelle in den Geowissenschaften dienen können (Matrizendarstellung des Vektor/Tensorkalküls, Lie-Reihenkalkül).
Die Sibirische Akademie beherbergt auch ein Institut für Optik und optische Technologien. Mit diesem zusammen will die TU Berlin industrielle Methoden, die "Spatial Information Science", weiterentwickeln. Dazu gehört das Design so genannter "Geodätischer Dome" (zum Beispiel das Olympiadach in München), die Entzerrung elektronenmikroskopischer Bilder durch photogrammetrische Methoden sowie verschiedene medizinische Anwendungen.