TU-Professor Erdtmann ist einer Sensation auf der Spur: Die Corumbella, ein Fossil, könnte der Ursprung der mehrzelligen Tierwelt sein
Die im Gestein verewigte Corumbella, wahrscheinlich 550 Mio. Jahre alt. Im Hintergrund : Lebewesen, die nach der "Kambrischen Explosion" die Erde besiedelten. Foto: TU/Weiß (honorarfrei) |
Unbemerkt von der Öffentlichkeit sind Wesen nach Deutschland eingereist, die über alles verfügen, um weltweit zu Stars zu avancieren. Schon ihr Name ist eine Verheißung - Corumbella nennen sie sich, was soviel bedeutet wie die "Schöne aus Corumbá". Und sie sind von betörender Eleganz. Wie eine Federboa liegen sie in dem olivgrünen Sedimentgestein aus Sand und Ton. Eine der schönsten ist zehn Zentimeter lang und fünf Millimeter breit. Ihr Alter - geschätzte 552 bis 550 Millionen Jahre.
Die Corumbella ist ein Fossil. Ihr Abdruck auf dem Gestein sieht aus wie eine Röhre aus übereinandergelagerten Ringen. Ende Oktober 2003 kam sie aus Brasilien in die wissenschaftliche Obhut von Prof. Dr. Bernd-Dietrich Erdtmann, Leiter des Fachgebietes Paläontologie & Historische Geologie am Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Berlin. Er hofft, ihr ein Geheimnis entlocken zu können. Deshalb wird Professor Erdtmann die Kohlenstoffzusammensetzung der Röhrenabdrücke im Gestein untersuchen, um deren mineralischen Charakter (ob vom Organismus gebildet oder vielleicht später umgewandelt) nachzuweisen. Dies wiederum wird der Schlüssel dafür sein, um sagen zu können, was die Corumbella eigentlich war. Ein Wurm war sie auf keinen Fall, auch wenn sie äußerlich einem platt gedrückten Regenwurm ähnelt. Vielleicht eine Verwandte der Koralle? Aber noch ist nicht einmal klar, ob die Abdrücke tierischer oder nicht vielleicht doch pflanzlicher Herkunft sind.
Die Professoren Detlef Walde und Bernd-Dietrich Erdtmann mit den Fossilien aus Brasilien, die sie mit chinesischen Funden vergleichen. Foto: TU/Weiß (honorarfrei) |
Professor Erdtmann vertritt die Hypothese, dass die Corumbella ein "Schalentier" war, dessen röhrenartige Schale (das Material ist wahrscheinlich vergleichbar mit dem eines Fingernagels oder eines Haars) sozusagen ein Skelett darstellt. "Sollte sich beweisen lassen, dass die Corumbella tierischer Herkunft ist, dann haben wir hier den Ursprung der mehrzellig organisierten Tierwelt vor uns", sagt Professor Erdtmann. Und die Corumbella wäre dann ein zusätzlicher Baustein, um ein anderes Phänomen - die so genannte "Kambrische Explosion" - weiter zu erklären.
Unter der "Kambrischen Explosion" verstehen die Wissenschaftler aufgrund der als Skelette fossilisierten Organismen die "plötzliche Erscheinung" einer vielfältigen Fauna vor etwa 545 Millionen Jahren, etwa 55 Millionen Jahre nach der letzten Eiszeit vor ca. 600 Millionen Jahren. Diese Zwischenzeit von 55 Millionen Jahren, auch als letzte Stufe noch dem Präkambrium zugeordnet und seit Mai diesen Jahres als "Ediacara-Periode" bezeichnet (nach einem Gebirgszug in Südaustralien), erforscht Professor Erdtmann. Lange Zeit konnten die Wissenschaftler nicht sagen, woher vor 545 Millionen Jahren plötzlich diese vielfältigen Lebewesen kamen. Im vergangenen Jahr erst hatten Erdtmann und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Michael Steiner eine neue Erklärung für die "Kambrische Explosion" gegeben und international veröffentlicht, wonach Organismen während der letzten globalen Eiszeit vor 600 Millionen Jahren im Umfeld von Hydrothermalquellen in der Tiefe des Ur-Ozeans "überwinterten". Professor Erdtmann und Dr. Steiner hatten auf der Jangtse-Plattform von Chengjiang im Südosten Chinas zusammen mit chinesischen Paläontologen die Existenz solcher Hydrothermalquellen anhand fossiler Funde nachgewiesen. Eine Sensation.
"Die Corumbella könnte im Zusammenhang mit den Hydrothermalquellen ein Indiz dafür sein", sagt Professor Erdtmann, "dass mehrzelliges tierisches Leben schon vor der Kambrischen Explosion existierte." Gelingt Erdtmann der Nachweis, dass die Corumbella ein Tier war, wäre das eine weitere Sensation.
Entdeckt worden waren die Corumbellas schon im März 1980 von dem Geologie-Professor Detlef Walde von der Universität Brasília. Er hatte sie damals in einem Kalksteinbruch nahe der brasilianischen Kleinstadt Corumbá am Rande des Pantanal, einem Sumpfgebiet dicht an der brasilianisch-bolivianischen Grenze, aufgespürt. Seine Studien ergaben, dass auch unmittelbar unter den Corumbella-Schichten Hinweise auf eiszeitliche Ablagerungen, auf vulkanisches Gestein und Hydrothermalquellen vorhanden sind.
Professor Walde brachte die seltenen Fossilien nun an die Technische Universität Berlin, weil einerseits seit mehreren Jahren zwischen der Universität Brasília und der Berliner Universität Forschungskooperationen im Bereich der Geowissenschaften bestehen, z. B. auf dem Gebiet der Hydrogeologie, und weil andererseits an der TU die wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten gegeben sind, das Geheimnis der Corumbella zu lüften. Schon im nächsten Jahr soll zudem eine Mitarbeiterin von Professor Walde an die TU kommen und das Sand-Ton-Gemisch, in dem die Corumbella sich - nun versteinert - verewigte, auf weitere Spuren organischen Materials durchleuchten. Auch davon erhoffen sich Erdtmann und Walde neue Erkenntnisse, um u.a. Rückschlüsse auf die Umweltbedingungen vor 550 Millionen Jahren auf der Erde ziehen zu können.
Die Fossilien von Professor Walde sind bisher die einzigen dieser Art in Südamerika. Ähnliche Funde sind jetzt aus vergleichbaren Schichten bei Gaojiashan im Osten Chinas bekannt geworden. Dort stießen 1993 chinesische Wissenschaftler auf vergleichbare Fossilien. Neben der Untersuchung der Corumbella will Erdtmann deshalb auch die südamerikanischen mit den chinesischen Fossilien vergleichen. Sollte sich zwischen beiden eine Gleichartigkeit herausstellen, dann würden die Organismen zukünftig auch in China Corumbella genannt werden müssen, weil in der wissenschaftlichen Praxis die erste Namensgebung Vorrang hat. Die Schöne aus Corumbá würde weltberühmt werden.
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