TU intern - April 2000 - Forschung
Krach schon vor der Ehe
Großfusion in der Forschungslandschaft gerät ins
Stocken
Eine Frage der Zeit - GMD und FhG müssen sich noch lieben
lernen |
Die Mitarbeiter des GMD Forschungszentrums Informationstechnik
und der Fraunhofer-Gesellschaft
(FhG) trauten ihren Ohren nicht: GMD und FhG sollen zum 1. Januar
2001 fusionieren. Das wurde am 29. September 1999 auf einer gemeinsamen
Pressekonferenz vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) sowie der FhG- und GMD-Leitung bekannt gegeben. Selbst
die obersten Führungsgremien der beiden Organisationen waren
keine 24 Stunden zuvor, teilweise noch überhaupt nicht informiert,
geschweige denn gefragt worden.
Edelgard Bulmahn, die Ministerin für Bildung und Forschung,
verkündete stolz, mit der Fusion von FhG und GMD entstehe
in Deutschland die größte europäische Forschungsorganisation
im IT-Bereich. Bulmahn versucht sich in Forschungspolitik und
steht inzwischen wieder vor einem Scherbenhaufen. Die Belegschaft
der GMD hat sich kürzlich in einer Betriebsversammlung einmütig
gegen die jetzige Fusion ausgesprochen. Sie fühlte sich in
den vergangenen Wochen immer wieder von der FhG über den
Tisch gezogen, einer FhG, die getroffene Vereinbarungen auch öffentlich
in Frage stellte, ja revidierte. Das Schlagwort von der "feindlichen
Übernahme" der GMD durch die FhG macht die Runde.
DER STREIT IST VOLL ENTBRANNT
Der voll entbrannte Streit wird an zwei Fronten geführt.
Zum einen geht es um die unterschiedlichen Finanzierungsmodelle.
Die Fraunhofer-Institute finanzieren sich zu 60 Prozent über
Drittmittel, wobei von diesen 2/3 direkt aus der Industrie angeworben
werden sollen. Die GMD hingegen hängt zu 70 Prozent am Tropf
des BMBF und der Länder. Zum anderen geht es um die strategische
Forschungsausrichtung. Während die FhG anwendungsorientierte
Forschung betreibt, hat sich die GMD in der Grundlagenforschung
etabliert. Wie sollen diese beiden Unternehmenskulturen zusammengeführt
werden?
Stefan Jähnichen, Professor am Institut für Kommunikations-
und Softwaretechnik der TU Berlin sowie Direktor des GMD-Instituts
"First", sieht die Probleme weniger in der jeweiligen
Forschungsausrichtung von FhG und GMD. "Seit langem kooperierten
FhG- und GMD-Institute ausgesprochen erfolgreich und befruchten
sich durch die komplementäre Ausrichtung ihrer Arbeitsgruppen."
Entscheidend ist für Stefan Jähnichen die Frage der
Finanzierung. Denn nach der Fusion soll auch für die GMD
das Finanzierungsmodell der FhG gelten. Das hieße, dass
die GMD wie die FhG rund 60 Prozent ihres Budgets über Forschungsaufträge
aus der Industrie einwerben müsste. "Das wird zu unerwünschtem
Wettbewerb mit kleinen und mittleren Unternehmen der IuK-Branche
führen, mit denen bisher optimal bei der Verwertung von Forschungsergebnissen
zusammengearbeitet wird."
Das Finanzierungsmodell der FhG hat für die GMD vor allem
Auswirkung auf die Gestaltung der Grundlagenforschung, da diese
unter dem FhG-Finanzierungsmodell im bisherigen Umfang nicht beibehalten
werden kann. Zu befürchten ist, dass bei dem derzeitigen
Mangel an hochqualifizierten Informatikern viele Mitarbeiter die
GMD verlassen werden - "wahrscheinlich gerade die besten
und noch wahrscheinlicher in die High Tech Regionen der USA".
BETEILIGUNG IN DER LEHRE
Zu erwarten ist auch, dass unter einem FhG-Modell die starke Beteiligung
von GMD-Mitarbeitern in der Lehre an den Berliner Hochschulen
zurückgefahren werden muss. Die Doktorandenprogramme und
die Postdoktorandenförderung sind bisher ein essentieller
Bestandteil des GMD-Modells, und das Land Berlin wäre gut
beraten, sich dieses Potentials an Forschungs- und Lehrkapazität
auch in Zukunft zu sichern, um die kritische Situation in der
Ausbildung von Informatikern nicht noch zu verschlimmern.
Um die Grundlagenforschung der GMD zu erhalten, soll ein Fonds
"Forschung für neue Märkte" eingerichtet werden,
der mit jährlich 40 Millionen Mark dotiert ist. "Wenn
dieses Budget auf alle 50 Institute der GMD und FhG verteilt werden
muss, wird die Grundlagenforschung verkümmern."
Mag sein, dass das alles Detailfragen sind, die sich klären
lassen werden. Nur: So schnell, wie Edelgard Bulmahn sich das
vorstellt, sicherlich nicht. Und: Viel schwerer wiegt aus Sicht
der GMD die Arroganz, mit der die FhG sowohl in den gemeinsamen
Verhandlungen als auch in der Öffentlichkeit auftritt. Immer
wieder heißt es zwar, FhG und GMD wollten als gleichberechtigte
Partner fusionieren, aber immer wieder auch lässt der Vorstand
der FhG verlauten, die Fusion solle unter den Rahmenbedingungen
des Fraunhofer-Modells erfolgen.
FEHLENDE REGELN
Edelgard Bulmahn, die den Deal eingefädelt hat, hält
sich inzwischen vornehm zurück. Stefan Jähnichen kritisiert
insbesondere, "dass die Politik es versäumt hat, vorher
die Regeln festzulegen, nach denen die Fusion erfolgen soll."
Stellt sich die Frage, ob die Politik überhaupt ein Konzept
für diese Großfusion hat. Außer Hektik ist kaum
etwas zu erkennen.
Die GMD, die übrigens grundsätzlich für die Fusion
ist, fordert eine Aussetzung des Fusionsprozesses. "Ich kann
mir nicht vorstellen, wie wir als GMD mit allen Budgetplanungen
bis zum 1. Januar 2001 in einem Zustand sein sollen, um als Fraunhofer-Institute
zu agieren. Das kann nur in ein Chaos münden. Zunächst
sollten erst einmal die Grundlagen für eine Zusammenarbeit
zwischen FhG und GMD gelegt werden. Ich weiß bis heute nicht,
wie ein Fraunhofer-Institut tatsächlich funktioniert",
so Stefan Jähnichen. Außerdem fehle so etwas wie eine
Landkarte, die Auskunft gibt über Stärken und Schwächen
sowohl der FhG als auch der GMD und insbesondere natürlich
der gesamten IuK Landschaft in Deutschland. Auf einer solchen
Grundlage das Profil einer neuen Forschungsorganisation aus FhG
und GMD gemeinsam mit der Industrie zu entwickeln, "das wäre
eine perfekte Lösung".
Thomas Schulz
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