TU intern - Dezember 2000 - Aktuelles

Rätselraten bei der Wissenschaft

Dringender Forschungsbedarf in Sachen BSE

Warum sollte eigentlich der Rinderwahnsinn vor den deutschen Grenzen Halt machen? Eine durchaus plausible Frage, aber die Politiker, allen voran Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke, tönten, Deutschland sei frei von BSE. Die Sachlage änderte sich bekanntlich über Nacht. Es kam wie es kommen musste: Auch in Deutschland sind Rinder mit dem Erreger infiziert. Ob es sich hierbei um Einzelfälle handelt oder ob der Erreger doch schon weiter verbreitet ist, sollen die so genannten BSE-Tests zu Tage fördern.

Vor allzu großem Vertrauen in diese Tests hat kürzlich das Robert-Koch-Institut gewarnt. Die BSE-Tests seien nie als Vorsorge-Tests gedacht gewesen, sagte Institutssprecherin Susanne Glasmacher gegenüber der "Berliner Zeitung”. Sie seien nur sicher, wenn die Tiere bereits Symptome aufweisen. Denn: Der Test reagiere erst ab einer gewissen Konzentration von BSE-Erregern; diese Konzentration wiesen im Normalfall aber nur bereits erkrankte Tiere auf. "Die BSE-Tests, die jetzt gemacht werden, dienen allein dazu, sich ein Bild über die Verbreitung der Krankheit in Deutschland zu machen”, sagte Susanne Glasmacher.

GROSSER FORSCHUNGSBEDARF

Nicht erst seit dem Auftreten von BSE fragen Wissenschaftler, wie sich Krankheitserreger über Futtermittel und tierische Fäkalien verbreiten. Virusseuchen wie Schweinepest oder die Maul- und Klauenseuche führen noch immer zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten, auch bakteriell verursachte Krankheiten wie Schweineruhr und Salmonellose oder die Rindertuberkulose sind keineswegs ausgerottet - im Gegenteil: Durch die moderne Massentierhaltung steigen die epidemiologischen Risiken.

Die Senatskommission zur Beurteilung von Stoffen in der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hat bereits Ende Oktober einen Sachstandsbericht "Potenzielle Schadorganismen und Stoffe in Futtermitteln sowie in tierischen Fäkalien” herausgegeben. Darin wird neben einer detaillierten Bestandsaufnahme auch auf weiteren Forschungs- und Handlungsbedarf hingewiesen.

Es ist hinlänglich bekannt, dass Viren und Prionen über verfüttertes Tiermehl und Schlachtabfälle in Tierbestände eingeschleppt werden können. Weniger bekannt dagegen ist, wie erkrankte oder infizierte Nutztiere Viren ausscheiden und wie sich diese durch Düngung, etwa durch Gülle, oder bei Freilandhaltung in der Umwelt verbreiten. Aus seuchenhygienischer Sicht wird diese Situation als "nicht unbedenklich” eingestuft. In welchem Umfang Menschen diesen aus tierischen Ausscheidungen stammenden Viren ausgesetzt sind, ist ebenfalls wenig bekannt. Zwar wurden bislang mit tierischen Fäkalien keine Verschleppungen viraler Krankheits- und Seuchenerreger festgestellt, jedoch dürften ähnlich wie bei krankheitserregenden Viren des Menschen auch tierische Viren den Weg in Böden, Trinkwasser und Badeseen finden. Nachdem sich die meisten Viren weitgehend wirtsspezifisch verhalten, ist der Mensch nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht unmittelbar gefährdet.

Doch nicht nur der Viren wegen sind die von rund 143 Millionen Nutztieren jährlich produzierten 264 Millionen Tonnen Exkremente pro Jahr ein aus hygienischer Sicht problematisches Gut; auch bakterielle Krankheitserreger können darin längere Zeit lebensfähig bleiben. Neben krankheitserregenden Bakterien, die zum Ausbruch einer meldepflichtigen Seuche führen, stehen zunehmend solche Erreger im Vordergrund, die man früher nur als Begleitkeime angesehen hat und die erst durch bestimmte Umstände wie falsche Fütterung, nicht artgemäße Tierhaltung oder fehlerhaftes Stallklima pathogen werden können. Auch Erkrankungen des Menschen, verursacht durch kontaminierte Lebensmittel tierischer Herkunft, werden immer häufiger diskutiert. Durch die intensive Tierhaltung und den massenhaften Einsatz von Antibiotika gelangen Antibiotika resistente Bakterien in die Gülle. So gibt es kaum noch Tiere, die in ihrem Darm voll empfindliche, also kein Resistenzgen tragende Darmbakterien (Escherichia coli) besitzen. Noch ist nicht untersucht, ob diese mit den tierischen Fäkalien ausgebrachten resistenten Bakterien einen Langzeiteffekt bewirken. Bislang konnte nachgewiesen werden, dass durch den Einsatz von Streptothricin zur Leistungssteigerung Kreuzresistenzen gegenüber in der Humanmedizin eingesetzten Antibiotika entstanden sind. Hier müssen weitere Untersuchungen erfolgen.

AUCH TU-MENSA STREICHT RINDFLEISCH

Der schleswig-holsteinische BSE-Fall hat jedenfalls wie eine Bombe eingeschlagen. Das Rindfleisch bleibt hinter den Theken liegen. Auch die Mensa der TU Berlin hat reagiert. Statt 300 bis 400 Portionen konnte sie nach Bekanntwerden des ersten BSE-Falles in Deutschland nur noch 100 bis 150 Portionen Rindfleisch absetzen, so der Mensaleiter der TU Berlin, Michael Dorweiler. Aufgrund dieses Rückgangs hat er Rindfleisch vom Speiseplan gestrichen. Dabei bezieht die TU-Mensa ihre Produkte grundsätzlich aus biologisch kontrolliertem Anbau. Die Rinder werden also nicht mit Tiermehl gefüttert, sondern kommen von der grünen Wiese aus der Uckermark. Für das Biofleisch muss Michael Dorweiler rund 15 Prozent mehr zahlen als für "industrielle” Kühe. Die Kosten schlagen sich auch im Mensapreis nieder.

Rindfleisch bleibt so lange gestrichen, bis sich die öffentliche Aufregung etwas gelegt hat. "Wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, werden wir Rind nach und nach wieder auf den Speiseplan setzen”, sagt Michael Dorweiler. Da das Fleisch sowieso immer gekennzeichnet ist, weiß der Mensagast stets, was auf seinen Teller kommt.

ths


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