TU intern - Dezember 2000 - Alumni
Studie:
Sessel für Chefinnen müssen noch gebaut werden
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf empfinden Männer
offensichtlich als ein größeres Problem als Frauen.
Das hat eine Befragung ergeben, die von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin
(EAF) durchgeführt wurde. Befragt wurden 212 Führungskräfte
Ostberliner Klein- und Mittelbetriebe zu ihren Einstellungen,
Erfahrungen und Praktiken zur Chancengleichheit von Frauen und
Männern und zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Durchgeführt
wurde diese Befragung vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion
um das Berliner Landesgleichstellungsgesetz (LGG), das seit 1999
die Vergabe öffentlicher Aufträge mit betrieblichen
Gleichstellungsmaßnahmen verknüpft.
Männer fühlen sich zu 72 Prozent stark bis sehr stark
durch konkurrierende Ansprüche von Beruf und Familie belastet,
bei Frauen ist dies nur zu 48 Prozent der Fall. Vor allen Dingen
Frauen betrachten zu 60 Prozent gegenüber 47 Prozent der
Männer Chancengleichheit als Aufgabe des Einzelnen. Gleichwohl
sind 58 Prozent der befragten Führungskräfte der Meinung,
dass auch Unternehmen bisher zu wenig für Chancengleichheit
getan hätten. Das Team um Prof. Dr. Barbara Schaeffer Hegel
vom TU-Fachbereich 2, Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften
fragte auch nach der Einschätzung zur Frauenfreundlichkeit
des eigenen Unternehmens und nach den Maßnahmen, die in
diesem Zusammenhang getroffen werden.
Zwar bewerten über 80 Prozent aller Befragten ihr Unternehmen
als Frauenfreundlich, die Bewertung zur Vereinbarkeit von Beruf
und Familie fällt jedoch schlechter aus: 73 Prozent bewerten
die Situation für Führungskräfte eher als mittelmäßig.
Zwar werden die im LGG genannten Maßnahmen von vielen Betrieben
bereits umgesetzt (flexible Arbeitszeit, Praktikumsplätze
für Mädchen und junge Frauen, spezielle Bildungsmaßnahmen
und zusätzliche Angebote zum Erziehungsurlaub), schlecht
sieht es hingegen bei den Angeboten aus, mehr Frauen in Führungspositionen
zu bringen - hier gibt es nur bei 5 Prozent der befragten Betriebe
Angebote in dieser Richtung und nur 1 Prozent verfügt über
einen Frauenförderplan.
Ein Grund dafür dürfte in der Größe der befragten
Betriebe liegen, weit über die Hälfte der Befragten
sind der Meinung, dass sich Frauenfördermaßnahmen in
Großunternehmen leichter durchsetzen lassen. Sie begründen
dies mit zu hohen Kosten, einer zu knappen Personaldecke und zu
hohem Organisationsaufwand für einen kleinen Betrieb. Wie
sieht es nun tatsächlich in einem Betrieb aus? Allerdings
gibt es auch in klein- und Mittelbetrieben ein hohes Bewusstsein
für den wirtschaftlichen Nutzen von betrieblichen Gleichstellungsmaßnahmen.
So sind 70 Prozent der Befragten davon überzeugt, dass diese
Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung im Betrieb beitragen.
Wie sieht es nun tatsächlich in einem Betrieb aus?
Bereits bewährte Praktiken zur Verbesserung der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf findet man zum Beispiel bei der Berliner
Condat AG, einer von TU-Absolventen
1979 gegründeten IT-Firma mit 260 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.
Dieses Unternehmen gehörte allerdings nicht zu den Befragten.
Hier gibt es seit Anfang der neunziger Jahre ein Arbeitszeitmodell,
das sehr erfolgreich ist und das sich von Beginn an an alle Firmenangehörigen
richtete und nicht als Frauensonderprogramm eingeführt wurde.
Es gibt das Modell der Wahlarbeitszeit, bei der für maximal
18 Monate die Arbeitszeit pro Woche auf 30 Stunden ohne Veränderung
des Arbeitsvertrages reduziert werden kann - ein Angebot, das
zur Zeit vorwiegend von Männern, die allesamt Väter
sind, genutzt wird. Außerdem kann man ein maximal halbjährliches
Sabbatical, d.h. eine Auszeit, nutzen. Darüber hinaus ist
es bei Condat schon länger üblich, die tägliche
Arbeitszeit flexibel zu gestalten.
Positiv für das Unternehmen ist, entgegen den Umfrageergebnissen,
dass sich bei Condat mit diesem Modell sogar Bürokratie abbauen
ließ. An einer anderen Stelle jedoch belegen die Zahlen
bei Condat das Umfrageergebnis: Von den 17 Führungspositionen
unterhalb der Vorstandsebene sind drei mit Frauen besetzt, der
vierköpfige Vorstand besteht nur aus Männern. Condat-Unternehmensgründer
und TU-Absolvent Pedro Schäffer hätte auch hier gerne
eine Veränderung im Sinne der Frauen.
Für die EAF, deren Ziel es ist, mehr Frauen in Führungspositionen
zu bringen, dürften die Ergebnisse der Befragung gezeigt
haben, dass noch einiges unternommen werden muss, bevor genauso
viele Frauen wie Männer auf dem Chefsessel zu finden sind.
Bettina Klotz
"Betriebliches Gleichstellungsmanagement in kleinen und mittelgroßen
Unternehmen Ostberlins ist der Titel der Befragung, die
mit Unterstützung der Senatsverwaltung für Wirtschaft
und Technologie und des Europäischen Fonds für regionale
Entwicklung durchgeführt wurde und Teil einer umfassenderen
Forschungsinitiative ist.
Weitere Informationen gibt es bei der EAF,
Schumannstr. 5, 10117 Berlin, Tel.: 030/2 887 98 52, E-Mail: eaf@tu-berlin.de
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