TU intern - Februar/März 2000 - Menschen

Ein Amerikaner an der Spree

Dr. Jefferson S. Chase kennt Berlin schon von seinem letzten Aufenthalt sehr gut. Der sympathische Amerikaner hat sich in seinem Berliner Lieblingsbezirk Neukölln am Paul-Lincke-Ufer niedergelassen und genießt das Akademikerleben an der Spree.

Seit dem 1. Oktober 1999 ist der Literaturwissenschaftler Chase für ein Jahr Gastwissenschaftler am Zentrum für Antisemitismusforschung. Jefferson Chase lehrt an der University of Nottingham, Department of German. Er kam im Rahmen eines Forschungsstipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung nach Berlin. Der 1966 in Maine geborene US-Amerikaner ist nicht das erste Mal in Deutschland. Nach seinem Studium an der Harvard University war er bereits 1989/90 mit Hilfe eines DAAD-Stipendiums als Doktorand in Tübingen. Gerade diese Zeit fand er sehr faszinierend. Um etwas von der damaligen Umbruchstimmung mitzuerleben, reiste er mit einer Studiengruppe durch Ostdeutschland und diskutierte u. a. mit Vertretern des Neuen Forums.

An der University of Virginia promovierte er 1993 über deutsche Sprache und Literatur. Persönliche und wissenschaftliche Gründe führten Jefferson Chase 1994 nach Berlin. Gefördert durch das Berlin Program for Advanced German and European Studies, lehrte und forschte er für zwei Jahre an der FU Berlin. Dort bot er den Komparatisten Seminare zum literarischen Übersetzen an. "Die Berliner Studierenden waren sehr interessiert und hochmotiviert", erinnert sich Chase. Ihm fiel aber vor allem auf, dass die Studierenden in Deutschland älter als in England und Amerika seien. Dies sieht der Wissenschaftler als Nachteil. Die positive Seite sei, dass "man sich in Deutschland mit dem Studium mehr Zeit lassen kann, um Interessantes zu vertiefen".

An der TU Berlin wird der Wissenschaftler über Judendarstellungen und jüdische bzw. nichtjüdische Schreibmodalitäten in der deutschen Literatur von Gotthold Ephraim Lessing bis Jurek Becker forschen. Geplant sind mehrere Vorträge. Ein jetzt schon feststehender Termin ist der 26. April 2000. Innerhalb des Forschungskolloquiums des Zentrums für Antisemitismusforschung wird Dr. Chase über "Schiller und die Juden. Von den Räubern bis zur Sendung Moses" referieren. Weitere Vorträge an der FU Berlin, vor der Jüdischen Gemeinde und am Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam werden folgen.

Dr. Jefferson S. Chase will seine Berliner Zeit auf jeden Fall nutzen, um sein Buch Inciting Laughter - The Development of "Jewish Humor" in Nineteenth-Century German Culture vorzustellen. Es erschien Ende 1999 bei Walter de Gruyter. Chase untersucht darin die Verschmelzung von Judentum und satirischem Humor bzw. Judenwitz, die zwischen 1820 und 1850 in Verbindung mit den Autoren M. G. Saphir, Ludwig Börne und Heinrich Heine entstand. Er geht den Einflüssen des "Judenwitzes" auf spätere Konzepte der deutschen Literatur und Kulturgeschichte nach.

Jefferson Chase hat sich für seinen Besuch an der Spree viel vorgenommen. Bis sein umfangreiches Forschungsprojekt abgeschlossen ist, möchte er in Berlin bleiben.

Ramona Ehret


© 2-3/2000 TU-Pressestelle