TU intern - Januar 2000 - Aktuelles
Zur 5000. Lokomotive gab es Bachforelle und HummerEin persönlicher Rundgang durch die Ausstellung 1799-1999 im Hauptgebäude
| ||
Die alkoholische Gärung gehört zur Feuerzangen- bowle" - unser Foto zeigt die Realität: Prof. Dr. Max Delbrück wurde schon als 24-Jähriger zum Leiter der Versuchsanstalt für die Brennereigewerbe berufen |
||
Unter den Mitteln zu diesem Zweck hat uns die Einführung
einer allgemeinen Gewerbesteuer für Unsere getreuen Unterthanen
wenig lästig geschienen ..." Gleich zu Beginn der Ausstellung
stößt der Besucher auf diesen offiziellen Erlass -
obwohl nun fast 200 Jahre alt, kann selbst der heutige getreue
Unterthan" den zahlreichen Mitteln, den wichtigen Zwecken
und den unliebsamen Steuern einiges Gefühl entgegenbringen.
Vielfältige Exponate wie diese Preußische Gesetzesurkunde,
die letztlich den Anstoß zur Gewerbeförderung gab,
illustrieren den Geist der Gründungsjahre von Bergakademie
(1770), Bauakademie (1799), Vereinigter Artillerie- und Ingenieurschule
(1816) und dem Gewerbeinstitut (1821) - allesamt Vorläufereinrichtungen
der TU Berlin.
EINE MASCHINE MACHT DAMPF Und besonders eins symbolisiert den Aufbruch in jener Zeit: die Dampfmaschine. Der vereinte Versuch des ganzen Königsreiches, eine Dampfmaschine zu bauen", stand hinter den Bemühungen, das Wunder des Dampfes für den Menschen nutzbar zu machen. Und dieses Streben legte letztendlich den Grundstein für den wissenschaftlichen Maschinenbau. Die Pioniere auf diesem Gebiet schienen auch frühe PR-Profis gewesen zu sein. August Borsig beispielsweise nannte eine seiner ersten Lokomotiven nach dem Gründer des Gewerbeinstituts, Christian P. W. Beuth. Das 1000. Exemplar begrüßte der berühmte Absolvent dieser Lehranstalt mit einem imposanten Festumzug. Und die 5000. Lokomotive gab 1902 den Anlass für einen Empfang. Bachforelle, Helgoländer Hummer und Käsestangen wurden gereicht, dazu Sherry und ein 1888er Château La Mission Haut Brion. Musik aus Tannhäuser und der Marsch Meine Vaterstadt Berlin" eröffneten den Schmaus. Hof-Lieferant war kein geringerer als L. Adlon. Ein PR-Event also mit den heutigen Dimensionen. DER BEGINN DER OST-WEST-BEZIEHUNG IN BERLIN Beginnend mit dem Siegeszug der Maschinen änderte sich auch das Leben in Berlin. Unter dem Motto Eine Großstadt organisiert sich" kann der Besucher dem Wirken vieler Lehrer und Absolventen der Bauakademie sowie der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin folgen. Wie den Planern der Stadtbahn zwischen Bellevue und Alexanderplatz, Johann Eduard Jacobsthal und Ernst August Dircksen, oder den Konstrukteuren des Berliner Kanalisationssystems Friedrich E. S. Wiebe und James Hobrecht. Er war es auch, der den Stadterweiterungsplan von Berlin und Umgegend bis Charlottenburg" 1858 vorlegte. EIN STÜRZENDER, ABER SCHÖNER GENIUS Im Lichthof - dem Ort der Seele", wie ihn der Autor Jonas Geist im Aufsatzband zur Ausstellung nennt - hat die Skulptur des schönen, stürzenden Genius' der Baukunst mit Säulentrümmern" einen würdigen Platz gefunden. Sie vermittelt die Eleganz der Baukunst Karl-Friedrich Schinkels (1781-1841). Nicht nur das Portal, auch andere wertvolle Überbleibsel" der stattlichen Bauakademie am Werderschen Markt - ein gebautes Programm Technik, Handwerk und Ästhetik" - sind dort zu sehen. Diese Säulentrümmer" sollen mit viel Glück und Geld bald wieder am historischen Ort zusammengefügt werden - so die Pläne des Berliner Senats. DIE AUFERSTEHUNG ANTIKER GÖTTER Folgt man dann dem westlichen Treppenhaus, wird man Zeuge der Entdeckung antiker Denkmäler - seien es die Tempel für Hera und Bacchus oder das Ischtar-Tor aus Babylon. Wieder waren es Absolventen und Lehrer der Bauakademie, die auch hier Pioniergeist bewiesen und die ersten großen deutschen Grabungsobjekte in Griechenland leiteten. EIN PRACHTBAU FÜR DIE WISSENSCHAFT Einige Stufen höher kann man die architektonische Kostbarkeit bestaunen, die deutsche Baumeister des 19. Jahrhunderts für die Wissenschaft in Berlin umgesetzt haben. 1884 bezieht die Königlich Technische Hochschule ihren Prachtbau an der Charlottenburger Chaussee, der städtischen Entwicklungsachse des neuen aufstrebenden Westens. In feinster Lage", wie man berichtet. Illustriert wird diese Anfangszeit mit eindrucksvollen Zeugnissen eines Metiers, das damals selbst noch in den Kinderschuhen steckte - der Fotografie. Die schwarz-weißen Bilder aus dem Jahr 1885 zeigen das Elektrotechnische Laboratorium mit seiner futuristischen Architektur oder die imposante Eintrittshalle des Hauptgebäudes. Nur die Menschen fehlen - die langen Belichtungszeiten für die Photoplatten bannten wohl die schnell-lebigen" Wissenschaftler und Studenten von den bleibenden Kunstwerken. DIE UNSCHULD VERLOREN Mit bleibendem Anspruch starteten auch andere - ihre Geschichte und die Verquickung der Hochschule mit dem Nazi-Regime wird im östlichen Treppenhaus gezeigt. Man liest dort von völkisch-rassistischen Stadt- und Siedlungskonzepten. Aus einer Wahnidee sollte Wirklichkeit werden - Adolf Hitler legte im November 1937 den Grundstein zur Wehrtechnischen Fakultät der TH an der Teufelssee-Chaussee. Damit wurde gleichzeitig der erste große Bauabschnitt der vom Führer" angeordneten Umgestaltung der Stadt in Angriff genommen. Albert Speer fungierte bei diesem Vorhaben, das schon bald sein Ende im Untergang des Nazi-Reiches fand, als Generalbauinspektor.
| ||
Interessierte Besucher in der Ausstellung: die Familie von Franz Reuleaux | ||
PEITSCHENKNALL IM HÖRSAAL
In der zweiten Etage wird der Besucher eingeladen zu einem Rundgang durch die Königsdisziplinen Maschinenbau, Bauingenieurwesen, Elektrotechnik und Naturwissenschaften. Man begegnet beispielsweise István Szabó (1906-1980), der ab 1948 den Lehrstuhl für Mechanik innehatte und mit einer ungarischen Hirtenpeitsche in den Vorlesungen die Überprüfung einer Bewegungsgleichung demonstrierte. Zur Freude seiner Studenten durchbrach das Peitschenende die Schallgeschwindigkeit und knallte. Von Adolf Slaby (1849-1913) und seinen Experimenten der drahtlosen Nachrichtenübertragung liest man genauso wie vom großen Interesse des Kaiserhauses und der Marine an seinen Versuchen. Der Besucher erfährt auch, dass die Garage eines Bill Gates wenige Jahrzehnte zuvor für Konrad Zuse die elterliche Wohnung war. Sein Rechner Z 1" blockierte wohl das Familienleben. Die Addiermaschine des Nachfolgers Z 3" - der ersten funktionierenden programmgesteuerten Rechenanlage der Welt - kann man als Original betrachten. OH, DU SCHÖNE, MALERISCHE INDUSTRIE Ein Lehrbeispiel des Zusammenwirkens von Ästhetik und Kraft sind die Zeichnungen von Franz Reuleaux (1829- 1905), der dem Maschinenbau eine feste wissenschaftliche Grundlage gab. Neben der guten Wirksamkeit, betonte er, sei auch das gefällige Äußere von Maschinen zu beachten. Oder wäre es nicht der Mühe werth ..., nicht bloß nach den Gesetzen der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit, sondern auch nach denjenigen der Schönheit zu suchen?" KEINE HABIL. UND DOCH PROF. Ein anderes Lehrbeispiel zeigt das Wirken Alois Riedlers (1850-1936), des Erneuerers der Ingenieurausbildung. Er brachte ihr die Praxis in die Hörsäle und beschritt dabei einen Weg, der heute oft beschworen wird: 1896 gründete Riedler das Maschinenbaulaboratorium für die Studenten der TH, und nur ein Jahr später bot er der Hochschule mehrere große Dampfmaschinen im Gesamtwert von 120 000 Reichsmark an. Dadurch geriet der Staat in Zugzwang und stellte weitere Mittel für den Ausbau zur Verfügung. Auch ein anderer Vertreter der Praxis, der dennoch dem Ruf der Wissenschaft folgte, wird vorgestellt: Hermann Rietschel (1847-1914) bekam 1885 ohne Promotion und Habilitation die Professur für Ventilations- und Heizungswesen. Auf den langen Streit unter seinen Kollegen antwortete er schließlich: Es soll keiner Professor ... werden, wenn er keine praktischen Erfahrungen in seinem Lehrfach besitzt, und keiner Professor bleiben, der längere Zeit die enge Fühlung mit der Praxis seines Faches verloren hat." DER HENRY FORD DEUTSCHLANDS Schließlich wurde auch Anfang vorigen Jahrhunderts der Fabrikbetrieb zu einem Lehr- und Forschungsgebiet. Mit der Berufung von Dr.-Ing. Georg Schlesinger (1874-1949) durch Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich wurde der Grundstein für die spätere Betriebswissenschaft gelegt. Auf ihn gehen auch die Effizienzsteigerungen in den Horch-Automobil-Werken zurück. Das Ergebnis, statt 1,8 Autos pro Tag nun zehn Mobile herzustellen, erinnert an das amerikanische Beispiel Henry Fords. ADERLASS AUS RASSENWAHN Der Name Georg Schlesinger ist auch an anderer Stelle zu lesen - und zwar in der Liste der auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums verabschiedeten Professoren und Privatdozenten". In den Jahren 1933 bis 1938 hat die TH zwischen 20 und 25 Prozent ihres wissenschaftlichen Personals entlassen. Die meisten fielen dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer: sie waren Juden oder jüdischer Herkunft. Davon betroffen waren auch die beiden späteren Nobelpreisträger Gustav Hertz (1887-1975) und Eugene Paul Wigner (1902-1995). Er hat ferner die Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung des öftern abfällig kritisiert" - dieser und ähnliche Sätze genügten als Begründung, um oftmals mehr als eine Karriere zu zerstören. Die Unterschrift des Führers der Dozentenschaft unter dem Dienstentlassungsbrief ist unleserlich!
| ||
Die AEG und Siemens waren Ende des 19. Jahrhunderts die größten elektrotechnischen Unternehmen des Reiches. Hier eine Blockstation der AEG aus dem Jahr 1884 | ||
DICHTUNG IM KALTEN WINTER 1959
Dieses wohl dunkelste Kapitel der Hochschule reiht sich in den Themenbereich Aufstieg, Triumph und Fall der Hochschule. Neubeginn" ein. Letzterer wird illustriert durch die aufstrebenden Geisteswissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihre Etablierung an der Technischen Universität war die Konsequenz aus der Vergangenheit: Ein obligatorisches studium generale" forderte die britische Besatzungsmacht für angehende Ingenieure. Vor allem die beiden Fachgebiete Musik und Sprache im Technischen Zeitalter werden anschaulich illustriert. Der Besucher erfährt von den legendären Dichterlesungen im Hörsaal H 3010. Nur mit bescheidenen Handzetteln angekündigt, stießen sie ab Winter 1959 trotzdem auf große Resonanz bei den Berlinern. Bei einem Radiointerview oder im Kreise der beiden Nobelpreisträger Heinrich Böll und Günter Grass sieht man den Literaturwissenschaftler und Initiator der Lesungen, Prof. Walter Höllerer. "DIE BRÜDER SIND AUCH NICHT KLÜGER ..." Folgt man dann den Stufen in die dritte Etage, in die Gegenwart von Lehre und Forschung, stößt der Besucher auch erstmals auf Frauen in der Wissenschaft. Die prachtvollen Uniformen, Gesetzestexte und Maschinen der ersten beiden Etagen sind Männerwerke. Erst zu Beginn des vorigen Jahrhunderts öffneten sich die Hörsäle auch für Frauen. Als junges Mädchen trat die spätere Politikerin Marie-Elisabeth Lüders (1878-1966) mit ihrem Studienwunsch an den Rektor der TH heran. Sie hatte eine treffliche Begründung: Die Brüder sind auch nicht klüger als ich, einer ist sogar in Latein mangelhaft." Doch Fräulein Lüders musste sich noch gedulden. Hervorzuheben ist gewiss Ida Noddack (1896-1978), die mit ihrem Mann das chemische Element Rhenium entdeckte und mindestens dreimal für einen Nobelpreis vorgeschlagen wurde. Anders als Marie Curie in Frankreich, ist Ida Noddack in Deutschland heute fast vergessen. GRÜSSE AUS BRASILIEN UND NORWEGEN Gegenüber dieser Posterwand wehen bunte Postkarten aus aller Welt mit den besten Grüßen ehemaliger ausländischer Studierender. Sie fanden zeitweilig an der TU nicht nur einen Studienort, sondern in Berlin oftmals ein Zuhause. Die Universität hat auch und vor allem ein internationales Gesicht - die Beispiele zeigen es. KLEIN UND SCHNELL IN DIE ZUKUNFT In der dritten und letzten Etage angekommen, steht das Modell einer Magnetschnellbahn; dem Start der Heißwasser-Rakete Aquarius kann man auf Fotografien folgen; das Mobile Solar-Café bietet eine Tasse Stärkung an; Laserdioden flimmern, und ein geldstückgroßer Chip für die Herz-Überwachung von Babys ist zu sehen. Doch all das ist schon wieder eine andere Geschichte, die Geschichte der Zukunft dieser Universität, ihrer Wissenschaftler und Studenten. Stefanie Terp
© 1/2000 TU-Pressestelle |