TU intern - Januar 2000 - Forschung

Licht aus bei BESSY I

Seit November ist der Elektronenspeicherring Vergangenheit

Blick in die Experimentierhalle von BESSY I
Mit einer ”Last-Photon-Party" verabschiedeten sich Mitarbeiter und Nutzer vom Berliner Elektronenspeicherring BESSY I. Die Großforschungseinrichtung wurde nach rund 17 Jahren erfolgreichem Betrieb abgeschaltet. Ihre Nachfolge tritt BESSY II in Berlin-Adlershof an, der im Januar 1999 seinen Betrieb aufnahm.

”Always look at the bright side of life", schallte es durch die Experimentierhalle bei BESSY I. Wissenschaftler starrten gebannt auf einen flackernden Monitor, der angab, wie viele Elektronen sich noch am Rennen durch den gut 62 Meter langen Elektronenspeicherring beteiligten und dabei die für die Experimente benötigte Strahlung - die Photonen - aussandten. Die Zahl der Elektronen nahm langsam ab. Dem letzten gaben die Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), die für die Absenkung der Elektronenzahl verantwortlich waren, eine Gnadenfrist von fünf Minuten. Dann war es vorbei, das laute Zischen eines Ventils markierte den Moment, in dem das letzte Elektron den Speicherring verließ. BESSY I gehörte der Vergangenheit an. Die Menschenansammlung vor dem Monitor verlagerte sich hin zu Buffet und Bier.

Manch einer mag an diesem Abend angestoßen haben auf BESSY I, auf die Messungen im Bereich der Biologie, Physik, Chemie, Medizin oder Materialforschung, die halfen, das Diplom, den Doktortitel, die Habilitation oder einen Artikel in einer besonders angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift zu bekommen. Der letzte Tag von BESSY I gehörte denen, die dort gearbeitet haben, er ging ohne große Reden, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, zu Ende.

Menschenansammlungen anderer Art waren es, die rund 20 Jahre zuvor den Beginn des Berliner Elektronenspeicherringes markierten. ”Sie standen Schlange im Schloss Charlottenburg: Würdenträger aus der Verwaltung, Industrie und Forschung. Zweck der Prozession war die Unterschrift unter den Gründungsvertrag der ,BESSY-Gesellschaft', an der sich Bundesregierung und Berliner Senat maßgeblich beteiligen", schrieb dazu die Berliner Morgenpost am 11. März 1979.

Neben den Grundlagenforschern waren es auch Vertreter der Industrie und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), die Mitte der siebziger Jahre den Wunsch nach einer eigenen Synchrotronstrahlungsquelle äußerten. Erstere wollten durch Lithographie mit dem Röntgenlicht des Speicherringes kleinere Halbleiterbauelemente erstellen, während Letztere auf der Suche nach einer berechenbaren, stabilen Strahlungsquelle für ihre Aufgaben im Eich- und Messwesen waren. Zu viele Wünsche und zu hohe Ansprüche, um wie bis dahin nur die Synchrotronstrahlung zu nutzen, die als ”Abfallprodukt" bei Hochenergieexperimenten entstand.

Die acht Gesellschafter, die im März 1979 die BESSY GmbH gründeten, kamen je zur Hälfte aus Forschung und Industrie. Darunter waren die Max-Planck- und die Fraunhofer-Gesellschaft, Siemens und Philips. Knapp drei Jahre später ging mit BESSY I die erste auf Synchrotronstrahlung spezialisierte Strahlungsquelle in Europa offiziell in Betrieb. Sie lieferte Licht, oder besser elektromagnetische Strahlung, vom infraroten bis in den weichen Röntgenbereich.

Insgesamt 130 Millionen DM wurden seitdem in BESSY I investiert. Die Zahl der experimentierenden Arbeitsgruppen aus der Grundlagenforschung wuchs schnell und lag zuletzt bei über 150 pro Jahr. Etwa ein Drittel von ihnen kam von den Berliner Universitäten und Forschungseinrichtungen. Rund 850 Diplomarbeiten und Dissertationen, mehr als 20 Habilitationen und über 3000 referierte Publikationen entstanden bei BESSY I. Besonders in der Grundlagenforschung - das Fächerspektrum umfasste Materialforschung, Physik, Chemie, Biologie und Medizin - liegen die wissenschaftlichen Erfolge von BESSY I. Viel profitiert hat vor allem die Erforschung der Halbleitergrenzflächen von Experimenten mit Synchrotronstrahlung. Bahnbrechende Erfolge wurden bei der Röntgenmikroskopie zur Aufklärung von Zellstrukturen und bei der Untersuchung von Adsorbaten und Kondensaten für katalytische Anwendungen erzielt, so Wolfgang Gudat, wissenschaftlicher Geschäftsführer der BESSY GmbH. Als ebenso bedeutend bezeichnet er die Spektroskopie mit zirkular polarisierter Synchrotronstrahlung sowie die Spektroskopie mit polarisierten Elektronen zum Verständnis magnetischer Phänomene, wie dem Riesenmagnetowiderstand.

Die Beteiligung der Industrie dagegen blieb hinter den Erwartungen zurück. Von den ca. 35 Kooperationspartnern der BESSY GmbH kommen zur Zeit fünf aus der Industrie, die Gesellschafter von 1979 zählen nicht mehr dazu.

Ansehen erlangte BESSY I im Messwesen. Er wurde als europäisches Strahlungsnormal für weiche Röntgenstrahlung und Strahlung im Vakuum-Ultravioletten (VUV) eingesetzt und galt als weltweit beste Strahlungsquelle hinsichtlich Stabilität und Berechenbarkeit im VUV. Sowohl die europäische als auch die amerikanische Raumfahrtagentur kamen zu BESSY I, um dort die Kalibrierungen für ihre Weltraumobservatorien von der PTB durchführen zu lassen.

Am 26. November wurde BESSY I abgeschaltet - aber nicht verschrottet. In der Diskussion ist zur Zeit ein Wiederaufbau der Anlage im mittleren Osten. Unter der Schirmherrschaft der UNESCO soll ein internationales Forschungszentrum entstehen, zu dem Wissenschaftler der ganzen Region Zugang haben. Während das Projekt, von dem man sich auch völkerverbindende Effekte verspricht, in vielen Ländern des Mittleren Ostens auf großes Interesse stößt, wird es von Wissenschaftlern hierzulande mit Skepsis betrachtet. Viele zweifeln daran, dass es ausreichend Infrastruktur und Experten gibt. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Kosten und Nutzen des Transfers wird oft gestellt.

Unabhängig vom Ausgang dieser Entscheidung wird Berlin auch in Zukunft für Synchrotronforscher interessant bleiben. Ihr neues Ziel heißt Adlershof, wo im Januar 1999 BESSY II - eine neue Speicherringanlage, deren Strahlung noch besser an die Anforderungen vieler Experimente angepasst ist - in Betrieb ging. Eines dürfte dort wohl unverändert bleiben gegenüber Wilmersdorf und dem letzten Abend bei BESSY I: Als die Letzten das Gebäude verließen, war die Morgendämmerung längst angebrochen.

Ursula Resch-Esser


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