TU intern - Januar 2000 - Internationales

Besuch im Auftrag Deutschlands?

Ein Interviewprojekt in Sydney, Australien

Haupttreffpunkt der University of New South Wales mit Blick auf die Bibliothek
Auf die Australien-Idee brachten mich meine Studienschwerpunkte jüdische Geschichte, Antisemitismus und Frauen im Exil. Mit einem Interview-Projekt zu dem Thema ”Erleben und Bedingungen deutscher Jüdinnen im australischen Exil" bewarb ich mich beim Deutschen Akademischen Austauschdient (DAAD) für einen Studienaufenthalt in Sydney, Australien. Dort landete ich im Februar 1998.

Ursprünglich war ich an der Macquarie University außerhalb des Stadtzentrums eingeschrieben, wechselte jedoch an die University of New South Wales (UNSW), da ich lieber zentral und nahe der Jüdischen Gemeinde studieren und leben wollte. Denn hier war ich von den Menschen umgeben, über die ich etwas erfahren wollte: Wie haben die jüdischen Familien, die in den 1930er Jahren nach Australien ausgewandert sind, im australischen Exil gelebt? Welche Erfahrungen machten vor allem die Frauen?

Doch bevor ich mich diesen Fragen widmen konnte, musste ich mich mit den praktischen Dingen des australischen Unilebens vertraut machen. An der UNSW schrieb ich mich schließlich für den ”Master of coursework" ein. Ich belegte vier Seminare, gemäß den noch erforderlichen Hauptseminaren in Deutschland, sowie ein ”reading project", in dem ich mich mit der australischen Literatur für mein Interview-Projekt, aus dem eine Magisterarbeit werden sollte, vertraut machte.

Eine ausgesprochen positive Erfahrung war, dass die Dozenten und die Universität sich auf meine Studienbedürfnisse und die Anforderungen meiner Heimatuniversität einstellten. Das Unisystem entpuppte sich in meinem Fall administrativ zwar als kompliziert, jedoch weit flexibler als das deutsche. Beispielsweise wollte ich gerne alle meine australischen Studienleistungen in Berlin anerkannt bekommen, weshalb ich eine Hausarbeit zur europäischen Antike schreiben musste. Nun stellte ich aber fest, dass die UNSW diese Geschichtsepoche gar nicht anbietet. Denn die Australier beziehen sich vor allem auf England und den asiatischen Raum, nicht jedoch auf die Antike. Doch es fand sich ein Kurs, in dem ich meine Arbeit zur Antike schreiben konnte.

Neben den Kursen und Vorlesungen an der Universität beschäftigte ich mich mit meinem Interview-Projekt. Das ganze Unternehmen wurde durch die persönlichen Kontakte meines australischen Betreuers zur jüdischen Gemeinde erst ermöglicht. Denn es war nicht immer einfach, als Deutsche Zugang zu den jüdischen Frauen zu finden. Manchmal wurde ich gefragt, ob ich im Auftrag Deutschlands mit ihnen reden wolle. Doch in den meisten Fällen ließ sich das Eis schnell brechen, so dass sich eine herzliche Atmosphäre aufbauen ließ. Die Gespräche ergaben ein teilweise anderes Bild, als die Literatur es mir vermittelt hatte. So waren es stets die Männer, die die Entscheidung über das Exil trafen. Übereinstimmung findet sich jedoch in der grundsätzlichen Aussage zur Exilerfahrung von Frauen: Es lässt sich eher ein antiemanzipatorischer Effekt feststellen. Durch das gemeinsam erlebte Leid rücken die Frauen nahe an die Familie heran und nehmen bereitwilliger ihre Pflichten als Mutter und Ehefrau wahr.

Da ich meinen Master in Deutschland anerkennen lassen wollte, musste ich auch über die Länge meiner Magisterarbeit verhandeln. Nach meinem australischen Programm hätte ich einen Projektbericht mit 12 000 Wörtern schreiben müssen. Die deutschen Anforderungen aber verlangten mir eine Arbeit mit 25 000 Wörtern ab. So stellte ich einen Antrag auf Verlängerung beim DAAD und blieb insgesamt 13 Monate in ”down under".

Astrid Kirchhof


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