TU intern - Januar 2000 - Internationales

Zwei Kulturen - dieselben Probleme

Ein Blick gen Osten auf dem fünften deutsch-polnischen Symposium

”Bildungsreformen in Deutschland und Polen" - die vergleichende Perspektive zeigt, dass das Bildungssystem beider Länder vor ganz ähnlichen Herausforderungen steht. Nunmehr zehn Jahre nach Unterzeichnung des Kooperationsvertrages zwischen dem Institut für Pädagogik der Universität Szczecin und dem Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften der TU Berlin fand Ende November 1999 das fünfte gemeinsame Symposium beider Institutionen in Berlin statt.

Die alle zwei Jahre abwechselnd in Polen und Deutschland ausgerichteten binationalen Wissenschaftsforen sind zusammen mit regelmäßigen gemeinsamen studentischen Workshops integraler Bestandteil eines intensiven Forschungs- und Lehraustausches.

Das fünfte deutsch-polnische Symposium endete mit einem doch überraschenden Ergebnis: Obwohl die jeweilige Ausgangslage des bestehenden Schul- und Hochschulwesens in Polen und Deutschland historisch bedingt recht unterschiedlich ist, ähneln sich die anstehenden Probleme sowie die in Angriff genommenen bzw. anvisierten Lösungswege, in einigen Bereichen sind sie sogar fast deckungsgleich.

ZUR UMSETZUNG VON REFORMEN

Die jüngsten polnischen Reformmaßnahmen setzen auf drei Ebenen an: das Einheitsschulwesen soll aufgegeben und eine vertikal gegliederte Struktur etabliert werden; inhaltlich ist eine Abkehr von strikten curricularen Vorgaben seitens des Ministeriums hin zur Möglichkeit schulinterner Curriculumsentwicklung vorgesehen. Didaktisch-methodisch soll auf die Vermittlung lexikalischen Wissens verzichtet und problemorientiertes und fächerübergreifendes Lernen eingeführt werden.

Diese Reformen stoßen bei den Lehrern auf große Widerstände, wie Prof. Maria Czerepaniak-Walczak berichtete. Sie seien durch die Planungs- und Gestaltungsfreiheit verunsichert. Ohne reformbegleitende Fortbildungen etwa zur fachlichen und didaktisch-methodischen Qualifizierung dürften die eingeleiteten Veränderungen kaum wirksam werden.

Von der Schwierigkeit, Schulreformkonzepte umzusetzen, wusste auch Peter Schuster aus Berlin zu berichten. Als langjähriges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion konnte er einen Blick hinter die Kulissen vermitteln. Er machte deutlich, wie zwischen politischen Akteuren unterschiedlicher Parteien auf Landes- und Bezirksebene sowie Interessenvertretern von Lehrern, Eltern und Schuladministration Konsens erzielt werden muss.

Bei den deutschen wie den polnischen Diskussionsteilnehmer/innen bestand Einvernehmen darüber, dass die schulische Realität in beiden Gesellschaften gemessen an den von Prof. Dr. Ulf-Werner Preuss-Lausitz vorgestellten Gütekriterien erheblichen Veränderungsbedarf aufweist.

PERSPEKTIVEN

Ein abschließendes Referat von Dipl.-Kaufmann Günter Heitmann thematisierte die Hochschul- und Studienreform. Auch hier ergab die Diskussion eine hohe Kongruenz der Situationslage. In beiden Staaten entwickeln sich die Universitäten zu Dienstleistungsunternehmen, die unter markt- bzw. betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden. In Polen gibt es immer mehr private Universitäten, die sich ausschließlich über Studiengebühren finanzieren und dabei - so erste Einschätzungen - erhebliche Gewinne erwirtschaften.

In Zukunft wird es darauf ankommen, im öffentlichen Hochschulwesen Strukturen zu entwickeln, die ein modernes Management ermöglichen, die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich von Forschung und Lehre garantieren, ohne Studiengebühren zu erheben. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Absolventen erfordert zudem in beiden Staaten eine Reform der Studiengänge, sei es in Richtung international favorisierter Bachelor- und Masterabschlüsse oder einer Profilierung der bestehenden Diplom- und Magisterausbildung.

Prof. Dr. Helga Marburger
Prof. Dr. Norbert H. Weber


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