TU intern - Juli 2000 - Forschung
Die Stadt - ein fein gesponnenes Netz
Europäische Stadthistoriker tagen an der TU Berlin
Die europäische Stadt ist Magnet für Menschen und Drehscheibe
für Kulturmuster |
Auf keinem anderen Kontinent gibt es so viele Städte wie
auf dem europäischen. Westeuropa ist der am stärksten
urbanisierte Raum der Welt. Was liegt also näher für
eine Vereinigung der europäischen Stadthistoriker, als im
Konferenzjahr 2000 auf ein Jahrtausend europäischer Stadtgeschichte
zurückzublicken und nach den grundlegenden Kulturleistungen
der Stadt als Lebensraum zu fragen? Die internationale Konferenz
"European Cities: Networks and Crossroads"
der European Association of Urban Historians wird vom 30. August
bis 2. September 2000 von der TU Berlin ausgerichtet.
Die Stadt - auf den ersten Blick ein autonomes und von seiner
Umgebung abgehobenes Gebilde. Doch ohne ein fein und weit gesponnenes
Netz von arbeitsteiligen Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen
Menschengruppen in der Stadt, zwischen Stadt und Land, vor allem
aber zwischen den Städten selbst ist ihre Entwicklung kaum
zu erklären. Die Stadt - ein Netz, das Menschen, Waren, Informationen,
Erfahrungen, Innovationen und Kulturmuster zum gegenseitigen Nutzen
miteinander verband.
Dieser grundlegenden Leistung der Stadt, Netzwerke aufzubauen,
auszuweiten und mit vielfältigen Funktionen zu verbinden,
als Magnet und Drehscheibe zugleich zu wirken, trägt das
Leitthema "European Cities: Networks and Crossroads"
Rechnung. Dieses Thema ist nicht nur für Stadthistoriker,
Stadtsoziologen, Stadtgeographen, Stadtplaner und andere Fachwissenschaftler,
die sich mit der Stadt und ihrer Geschichte beschäftigen,
von großem Interesse, sondern auch für Politiker und
die Öffentlichkeit, die über Leistungen und Probleme
der Städte diskutieren.
Die meisten vor dem Industriezeitalter gegründeten Städte
waren einst ummauert. Jenseits des Mauergürtels begannen
die Bezirke der Stadterweiterungsgebiete und Vorstädte des
19. Jahrhunderts, die im Zuge der Industrialisierung und des rapiden
Bevölkerungswachstums meist in klarer Rasterform und wirtschaftlich
aufgrund eines liberalen Baurechts entstanden sind.
Auf der Grundlage neuer Verkehrstechnologien entstanden vom ausgehenden
19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg entlang der Ausfallstraßen
um 1900 weitere stadtferne Wohngebiete. In der Zwischenkriegszeit
prägte in weiten Teilen Europas ein massiv mit öffentlichen
Mitteln geförderter Wohnungsbau die Stadterweiterung, der
häufig stilistisch und städtebaulich innovativ wirkte
und das herkömmliche Muster von Parzelle und Block im Dienste
neuer Wohnqualität in Frage stellte.
Die Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg war geprägt von
einer massiven Suburbanisierung, die die bislang siedlungsleeren
Flächen zwischen den ins Umland ragenden Fingern ausfüllte,
erschlossen nun durch Bus und Auto. Massiv vorangetrieben wurde
diese Entwicklung durch eine die Vermögensbildung fördernde
Steuer- und Wohnungsbaupolitik, die das Einfamilienhaus im Grünen
als Leitbild propagierte.
An den 34 Themen, die auf der Berliner Konferenz diesen Sommer
in Sektionen präsentiert werden, lässt sich ablesen,
wie vielfältig und dynamisch, aber auch wie gegenwartsbezogen
die moderne internationale Stadtgeschichte arbeitet. Neben den
sozialen Gruppen und (im weitesten Sinne) politischen Institutionen
der Stadt gewinnen zurzeit, einem allgemeinen Trend in der Geschichtswissenschaft
folgend, zunehmend kultur- und verhaltensgeschichtliche Fragestellungen
an Gewicht.
tui
Leserbriefe
|