TU intern - Juli 2000 - Multimedia

Fakten statt Mythen

Die Zukunft des Internet auf dem Prüfstand

Das Internet gilt als das Zukunftsmedium schlechthin. In der öffentlichen Diskussion steht es als Symbol für technischen Fortschritt, kulturelle Globalisierung und wirtschaftliches Wachstum. Schon seit einem halben Jahrzehnt leben wir in der so genannten Informationsgesellschaft, wie uns tagein, tagaus weisgemacht wird. Als deren Epizentrum kristallisiert sich das Electronic-Commerce, kurz E-Commerce, heraus. Die Euphorie, von der die Entwicklung des Internet getragen wird, erhält in jüngster Zeit jedoch einen Dämpfer.

Zu einem ernüchternden Ergebnis kommen Heide Baumann, Strategy Development Manager beim Telekommunikationsunternehmen MCI WorldCom, und Clemens Schwender, Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Kommunikations-, Medien- und Musikwissenschaften der TU Berlin, in der Einleitung zu dem von ihnen gemeinsam herausgegebenen Band "Kursbuch Neue Medien 2000", das bei der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) erschienen ist.

Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit den versammelten Beiträgen einen Reality-Check zu unternehmen. Ihre Eröffnungsbilanz: "Was ist neu an den Neuen Medien? Manches - nicht alles. Was kommt auf uns zu? Vieles, aber wenig Neues. Was wird sich ändern? Wenig - weniger als so mancher vorhersagt." Die versammelten Beiträge von Wissenschaftlern und ehemaligen Studierenden der TU Berlin sowie renommierten Köpfen aus dem In- und Ausland durchforsten die zentralen Bereiche rund um die so genannten Neuen Medien - Fakten statt Mythen.

Eine der großen Chancen, die das Internet bietet, liegt für Clemens Schwender im Bereich der Kommunikation. "Während man per Telefon nur Leute anruft, die man kennt, kann man über das Internet, genauer per E-Mail, Menschen kennen lernen, die beispielsweise gleiche Interessen teilen. Man spricht hier von Betroffenengruppen. Und die gibt es auf jeder Ebene." Man trifft sich im Netz, durchaus über nationale Grenzen, nicht aber über sprachliche Grenzen hinweg.

Die globale Kommunikation birgt aber auch Probleme der besonderen Art, denn sie durchbricht kulturelle Schranken. "Während im ersten Artikel der Amerikanischen Verfassung von der Meinungsfreiheit die Rede ist, spricht das deutsche Grundgesetz von der Würde des Menschen. Bei bestimmten Themen, kann es zu Widersprüchen kommen", gibt Clemens Schwender zu bedenken. Solche kulturellen Aspekte kommen in der Diskussion um das Internet viel zu kurz, dominierend sind ökonomische Fragen wie das E-Commerce.

Mit dem E-Commerce verbindet sich die Hoffnung, dass es zu einer direkten Verbindung von Produzent und Verkäufer kommt, unter Ausschluss des Einzelhandels. Die Euphorie hält Clemens Schwender jedoch für übertrieben. "Eine Bestellung über das Internet ist im Grunde nichts anderes als eine Bestellung per Katalog." Davon einmal abgesehen empfiehlt es sich bei bestimmten Dingen nicht, sie einfach im WWW zu bestellen. "Man muss unterscheiden zwischen Waren, die einen hohen, und Waren, die einen geringen Beratungsbedarf haben. Produkte, die einen ästhetischen Wert haben, wird wohl jeder selber in Augenschein nehmen wollen."

Die Entwicklung des E-Commerce beobachtet Clemens Schwender mit Gelassenheit. Zu Recht: In den USA haben sich bereits eine ganze Reihe von Online-Händlern wieder aus dem Internet-Geschäft verabschiedet - die Kunden blieben aus.

Thomas Schulz

Kursbuch Neue Medien 2000. Ein Reality-Check, hrsg. v. Heide Baumann u. Clemens Schwender, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Stuttgart/München 2000, DM 44,00. In der Universitätsbibliothek der TU Berlin, Abt. Kommunikations- und Geschichtswissenschaft, steht der Band unter der Signatur 80i5226, Standort TELE 3.


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