TU intern - Juli 2000 - Forschung
Im Flug erwischt
Molekül aus sechs Phosphoratomen aufgespürt
Während "Nur-Phosphor-Strukturen" bereits im
Computer simuliert wurden, waren neutrale Moleküle, die mehr
als vier Phosphoratome enthalten, bislang "in natura"
nicht zu betrachten. Im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts
gelang es nun Wissenschaftlern unter der Leitung von Prof. Dr.
Helmut Schwarz vom Institut für Organische Chemie
der TU Berlin, Hinweise auf die Existenz neuer molekularer Formen
(Allotrope) des Phosphors zu finden. Das könnte der Beginn
einer neuen Chemie sein.
Mitte der achtziger Jahre geriet das als nahezu abgeschlossen
betrachtete Weltbild der Elementmodifikationen durch bahnbrechende
Forschungen ins Wanken. Auf der Suche nach interstellaren Molekülen
konnten die Chemiker Curl, Kroto und Smalley - 1996 gemeinsam
Nobelpreisträger der Chemie - in massenspektrometrischen
Experimenten zeigen, dass es neben den Modifikationen des Kohlenstoffs
Graphit und Diamant mit den Fullerenen noch eine ganze Klasse
molekularer Modifikationen des Kohlenstoffs gibt.
Am bekanntesten ist dabei das nach dem Architekten Buckminsterfuller
benannte C60-Molekül (Spitzname "Buckyball"). Der
Durchbruch von der exotischen Weltraum-Chemie der Fullerene zu
potenziellen Anwendungen gelang nach der erfolgreichen Synthese
von Fullerenen im Gramm-Maßstab 1990. Heute zählen
einige dieser allotropen Formen des Kohlenstoffs zum Standardangebot
des Chemikalienhandels.
Einer anderen Elementmodifikation sind TU-Wissenschaftler um den
Chemiker Prof. Dr. Helmut Schwarz auf der Spur. Gemeinsam mit
Wissenschaftlern aus Bielefeld und Erlangen stießen sie
auf ein Molekül, das aus sechs Phosphoratomen, dem Hexaphosphor
(P6), besteht. Ausgangspunkt für die bahnbrechende Entdeckung
war eine Verbindung, die das gewünschte P6-Skelett enthält,
zur Stabilisierung aber noch zwei organische Ankergruppen trägt
(Pentamethylcyclopentadienyl-Reste, kurz Cp*). In einem Massenspektrometer
wurden die Moleküle elektrisch aufgeladen, beschleunigt,
dann im Flug von einem Magnetfeld abgelenkt und an der Krümmung
ihrer Flugbahn erkannt.
Doch ganz so einfach war es nicht. Zur Erzeugung des Hexaphosphors
wurde die Verbindung Cp*2P6 zunächst im Hochvakuum verdampft
und durch Beschuss mit energiereichen Elektronen ionisiert, wobei
bereits eine Ankergruppe abgespalten wurde. Durch einen Hochenergiestoß
mit Sauerstoff konnte dann auch der zweite Cp*-Rest abgetrennt
werden.
Die Phosphormoleküle bekamen bei diesem Prozess jedoch keine
Ladung mit und flogen geradeaus weiter, statt sich auf die für
den Nachweis wichtige Kreisbahn zwingen zu lassen. Ihre Identifikation
gelang den Chemikern erst durch Untersuchung der Bruchstücke,
in die die flüchtigen Teilchen nach einem weiteren Hochenergiestoß
nun ihrerseits zerfielen.
Das Hexaphosphor hat eine Lebensdauer von mindestens 10-6 Sekunden.
Dieser Zeitraum erscheint extrem kurz, ist für ein solches
Molekül jedoch eine "halbe Ewigkeit", da es innerhalb
dieser Zeitspanne Millionen von Schwingungsperioden durchläuft.
Zumindest unter den nahezu idealen Bedingungen der Experimente
liefert dieser Befund daher einen eindeutigen Hinweis darauf,
dass Hexaphosphor ein neues molekulares Allotrop des Phosphors
ist.
Wie für den Kohlenstoff oder den Sauerstoff sind auch für
den Phosphor verschiedene Modifikationen bekannt. Bei ihnen liegen
jedoch stets nur vier Atome vor. Die jetzt entdeckte molekulare
Modifikation des Phosphors besteht nicht nur aus sechs Atomen,
sondern weist auch eine Käfigstruktur auf. Ob diese Moleküle
einmal zu einer so reichhaltigen Chemie wie bei den Fullerenen
führen werden, ist schwer zu sagen. Immerhin: Auch die einst
rätselhaften Fullerene wurden in einem Massenspektrometer
nachgewiesen und erst Jahre später in größeren
Mengen hergestellt.
Dr. Detlef Schröder
Die Forschungsergebnisse wurden auch veröffentlicht in: Angewandte
Chemie 1999, 111, S. 3723-3726.
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