TU intern - Juli 2000 - Studium
Wortmeldungen zum Thema Langzeitstudium
Regina Leiss, die 16 Semester an der TU Berlin Technischen
Umweltschutz studierte, schrieb uns, wieso sie die Diskussion
über Langzeitstudierende für verfehlt hält.
Trotz BAföG habe ich ab dem 3. Semester parallel zum Studium
gearbeitet - zum Teil des Geldes wegen, zum Teil war es auch einfach
interessant und oft spannender als die Vorlesungen. So war ich
fast die ganze Zeit "Teilzeitstudentin", auch wenn es
das damals so explizit nicht gab. Freiwillige Gremienarbeit verlängerte
das Studium ebenfalls. Sie hat aber, genau wie die Arbeit, meinen
geistigen Horizont beträchtlich erweitert.
Wessen Problem ist der Langzeitstudierende eigentlich? Das der
Langzeitstudierenden, jedenfalls der oben genannten, eigentlich
weniger, haben wir doch alle durch überzeugende Argumente
für die verlängerte Studienzeit einen guten Job gefunden.
Wählte man das "Studienkontenmodell", zahlte in
Berlin kaum noch jemand Studiengebühren. Das Hauptproblem
liegt meiner Meinung nach im politischen Bereich. Man hört
es halt nicht gern, dass die eigenen Absolventen "so alt
sind".
Dabei werden zwei wichtige Punkte übersehen. Erstens haben
viele Langzeitstudierende oft eine erhöhte Sozial- und Fachkompetenz,
wenn die Gründe für die Verlängerung in Gremien-
oder Erwerbsarbeit liegen. Zweitens: Wie wollte die TU Berlin
eigentlich ihre Forschungsprojekte, ihre Tutorien durchführen,
gäbe es keine Studierenden mehr, die ganz gern neben dem
Studium arbeiten.
Frau Bulmahn möchte das Problem "Arbeit neben dem Studium"
lösen, indem sie das BAföG erhöht und Studiengebühren
für Langzeitstudierende einführt. Kann das im Interesse
der TU Berlin oder der Wirtschaft sein? Gewinner eines solchen
Konzeptes wäre wieder "die Politik", positiv gesprochen
die Gesellschaft. Es gäbe im Universitätssektor mehr
Einnahmen (dann kann man ja die Zuschüsse verringern), und
die Studierenden träten schneller in einen steuerpflichtigen
Job ein. Die Qualität der Ausbildung würde dadurch höchstens
im Sinne des in der TU intern beschriebenen Schweinezyklus verbessert.
Als letzte Bemerkung sei mir gestattet darauf hinzuweisen, dass
auch die internen Verwaltungsabläufe ihren Teil zu einem
Langzeitstudium beitragen. Etwa wenn sich ein Professor ein halbes
Jahr Zeit zur Beurteilung einer Diplom- oder Doktorarbeit nimmt,
wenn die Prüfungsnote so spät übermittelt wird,
dass die Statistik den Studierenden schon wieder ein Jahr länger
drin hat.
Martin Oellrich hat 20 Semester Mathematik studiert und zeigt
auf, wie es dazu kam. Trotz seines langen Studiums hat er gleich
nach seinem Diplom eine attraktive Stelle bei der Deutschen Telekom
gefunden.
Wie meine 20 Semester bis zum Abschluss zusammenkamen, ohne Jobberei
oder Kindererziehung? Nun, als ich nach dem 4. Semester mein Vordiplom
in Mathematik ablegte, war ich noch voll im Plan. Die anstehende
Spezialisierung wollte ich mir gut überlegen, daher legte
ich mich nicht gleich fest. Ich hörte interessante Vorlesungen
und ging in meinem Tutorenjob in der Numerik voll auf. Bereits
nach dem 5. Semester legte ich ein achtwöchiges Praktikum
bei der GMD in St. Augustin ein.
Nach dem 7. Semester wurde ich für acht Wochen als Werkstudent
am Wissenschaftlichen Zentrum der IBM
in Heidelberg akzeptiert.
Im 9. und 10. Semester weilte ich im Rahmen eines Austauschprogramms
an der Universität in Madison/Wisconsin,
die in Mathematik und Informatik zu Recht einen guten Ruf hat.
Ich hatte mich bereits vor dem Abflug über den Atlantik in
ein Projekt der Biotechnologie eingeklinkt, in dem ich einen Teil
der numerischen Versuchsauswertungen als Diplomarbeit entwickeln
und programmieren sollte. Zu der Zeit entsprach das voll meinen
Interessen. Nach der Rückkehr merkte ich jedoch im Laufe
der Zeit, dass dieses Projekt mich doch nicht richtig motivierte.
Das lag nur zum Teil an einer Betreuung, die bei allem guten Willen
keine rechte Hilfe war. Zum anderen aber daran, dass sich mein
Interesse von der Numerik hin zur kombinatorischen Optimierung
verschob, die bis dahin nur mein mathematisches "Nebenfach"
gewesen war.
Darin, den Schwerpunkt zu verlagern, bestärkten mich zwei
weitere Engagements bei IBM sowie ein Halbjahresvertrag in der
Netzplanung bei T-Mobil.
Da gingen die Semester 11-14 ins Land. Am Ende des 14. Semesters
legte ich mein Diplomvorhaben in dem Biotech-Projekt nieder und
begann mit der Einarbeitung in meine neue Vertiefungsrichtung.
Gegen Ende des 16. Semesters begann ich meine neue Diplomarbeit
im Rahmen eines Projektes in der Telekommunikationsplanung. Suma
sumarum habe ich 20 Semester gebraucht.
Ich bin sicher, dass dieser Verlauf meines Studiums durch gezeigtes
Interesse und Engagement möglich wurde und dass meine Studiendauer,
die streng gerechnet um sieben bis acht Semester hätte kürzer
sein können, kein Hindernis war. Ich musste den Verlauf lediglich
plausibel erklären können.
Hartmut von Willert studierte zunächst 14 Semester Psychologie.
Jetzt studiert er im 14. Semester Geschichte auf Lehramt. Warum
wird sein Studium noch eine Weile dauern?
Ich will als Schulpsychologe im Schulpsychologischen Dienst arbeiten.
Dazu brauche ich nach den Berliner Richtlinien ein abgeschlossenes
Psychologie-Studium und ein Lehramtsstudium, abgeschlossen mit
dem 2. Staatsexamen. Mein Psychologiestudium habe ich im Jahr
1993 nach 14 Semestern zu Ende gebracht. Das liegt im Durchschnitt.
Für mein Lehramtsstudium erhalte ich kein Bafög. Das
heißt, ich muss mich um eine Finanzierung kümmern.
Nun habe ich trotz aller Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt
eine Festanstellung in Thüringen in der Psychiatrie gefunden,
wo ich nun seit fünf Jahren arbeite. Neben der Behandlung
von Patienten mit Krankheitsbildern wie Depression, Schizophrenie
oder anderen Psychosen fahre ich regelmäßig nach Berlin,
um mein Studium fortzusetzen. Eine berufsbegleitende dreijährige
Therapieausbildung, die für meine Arbeit unerlässlich
ist, hat mich rund 10000 Mark gekostet. Studiengebühren wären
für mich ein harter Brocken.
Leserbriefe
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