TU intern - Juli 2000 - Aktuelles

Wer seine Konkurrenz nicht richtig kennt

Oder: wie die Bahn ihre Zukunft verspielt


Die Deutsche Bahn macht von sich reden - mit einer negativen Schlagzeile nach der anderen. Derweil wird der Kreis derjenigen, die mit dem gebeutelten Unternehmen Mitleid haben, immer größer und empfiehlt sich mit Vorschlägen, wie die Bahn zu retten sei: mit Privilegien jeglicher Art. Doch der Bahn fehlt es an etwas ganz anderem: an Wettbewerb. Weil sich das einstige Staatsunternehmen immer noch wie ein Monopolist aufführt, ermittelt inzwischen das Kartellamt. Aber wer glaubt, der Bahn wäre geholfen, wenn sie ihr Schienennetz auch anderen Gesellschaften öffnet, greift zu kurz, wie Peter Mnich, Professor am Institut für Straßen- und Schienenverkehr an der TU Berlin und Geschäftsführer des Instituts für Bahntechnik (IFB), argumentiert.

Im Fünf-Minuten-Takt bei Tempo 275 in zwei Stunden und fünfzehn Minuten von Osaka nach Tokio - das ist keine kühne Vision. 130 Millionen Japaner steigen auf dieser Strecke pro Jahr in den Hochgeschwindigkeitszug, der seit 1964 die Metropolen verbindet. In den nächsten Jahren wird darüber entschieden, ob auf dieser Strecke eine Magnetschwebebahn gebaut werden soll.

Peter Mnich, Professor am Institut für Straßen- und Schienenverkehr an der TU Berlin und Geschäftsführer des Instituts für Bahntechnik (IFB), blickt mit leuchtenden Augen gen Japan. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Bahnsysteme in Deutschland und ist der Verzweiflung nahe, wenn er über die Entwicklung der Deutschen Bahn AG nachdenkt. "Was seit Jahrzehnten fehlt, ist der große Wurf. Mit dem Herumdoktern an alten Strecken werden wir nicht weiterkommen. Das Ziel muss heißen, Fahrzeit halbieren, und dafür brauchen wir neue Hochgeschwindigkeitsstrecken."

Der große Wurf - wie soll der aussehen? "Eines der wichtigsten Attraktivitätsmerkmale ist das Thema der Fahrzeiten. Die Zielvorgabe muss lauten, dass für Entfernungen von 300 km eine Fahrzeit von nur 1 Stunde und 30 Minuten und für Entfernungen bis 550 km Fahrzeiten unter 3 Stunden zur Regel werden. Allein diese Maßnahmen könnten den Marktanteil der Schiene, im Vergleich zu den Verkehrsträgern Straße und Luft, deutlich über 50 Prozent anheben", rechnet Peter Mnich vor. Er verweist dabei auf die Erfolge der französischen und japanischen Bahnen. Das Thema Transrapid, mit dem sich Peter Mnich übrigens schon seit 20 Jahren beschäftigt, spielt da zunächst keine Rolle. "Mir geht es um die Attraktivität des Bahnverkehrs, das heißt, mehr Fahrgäste auf die Schiene zu bringen. Ob mit dem ICE oder mit dem Transrapid ist mir egal."

EIN FLICKENTEPPICH

Halbierung der Fahrzeiten - diese Vorstellung von Peter Mnich ließe sich nur verwirklichen, wenn das Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn konsequent ausgebaut würde. Bislang ist das Bahnnetz ein "Flickenteppich", so Mnich. Wer glaubt, da, wo der ICE fährt, gebe es bereits Hochgeschwindigkeitsstrecken, irrt. Auf der 500 km langen Strecke zwischen Berlin und Köln sind nur 160 km Neubau, und zwar zwischen Berlin und Hannover. Hier fährt der ICE also im Wesentlichen auf den alten Trassen und mit der alten Steuerungstechnik. "Wenn es zwischen Berlin und Köln eine durchgehend ausgebaute Hochgeschwindigkeitsstrecke mit einer Fahrzeit von knapp über zwei Stunden geben würde, dann wäre das eine wirkliche Alternative zu Auto und Flugzeug", glaubt Mnich.

Neben dem Thema Fahrzeiten spielt die Frage des Streckennetzes eine entscheidende Rolle. Peter Mnich plädiert seit Jahren dafür, die zehn wichtigsten Zentren in Deutschland durch ein Hochgeschwindigkeitsnetz miteinander zu verbinden. Von diesen Zentren aus sollte man dann in die angrenzenden Regionen fahren können und dabei nur einmal umsteigen müssen. Kurz: Der Fern- und Nahverkehr müsste neu konzipiert werden. Und: "Die Bahnindustrie und die Bahn selbst sollten die Entwicklung der Verkehrsträger Straße und Luft sowie die Kundenwünsche besser kennen. Wettbewerber der Bahnindustrie sind nicht nur deren Konkurrenzanbieter, wie es offenbar gesehen wird, sondern insbesondere die anderen Verkehrsträger wie Straße und Luft."

KEINE TRENDWENDE IN SICHT

Nicht, dass die Deutsche Bahn dem Geschehen auf der Schiene tatenlos zuschaute. Doch die erheblichen Investitionen in die Entwicklung neuer ICE-Züge und in den Neu- und Ausbau der Streckeninfrastruktur machen eine Trendwende kaum sichtbar. Darauf, wie Bahnchef Hartmut Mehdorn sein Credo "die Bahn muss wirtschaftlicher werden" in die Tat umsetzen wird, darf man gespannt sein. Für Peter Mnich ist klar: "Wirtschaftlicher wird die Bahn nur, wenn sie mehr Fahrgäste gewinnt. Im investiven Bereich muss sie Prioritäten setzen und die Planungen beschleunigen. Planungszeiten von rund 40 Jahren wie für die Strecke Köln-Frankfurt können wir uns nicht mehr leisten."

Aber Träumen darf man ja vielleicht trotzdem: Stellen Sie sich vor, Sie wollen in den Sommerurlaub fahren, kommen zum Bahnhof Zoo und die Bahnsteige sind leer - nicht, weil keiner mehr Zug fährt, sondern weil die Bahn im 15-Minuten-Takt in alle Himmelsrichtungen rauscht. Zunächst dürfen Sie wohl getrost damit rechnen, auf überfüllten Bahnsteigen warten und in überfüllte Züge steigen zu müssen.

Immerhin: Inzwischen haben ausländische Investoren ihr Interesse bekundet, die Strecke Hamburg-Berlin zu finanzieren. Und: In China soll der Transrapid das Stadtzentrum von Shanghai mit dem 45 km entfernt liegenden Flughafen verbinden. Eine Machbarkeitsstudie soll weitere Strecken in China prüfen. Das wurde zwischen der Bundesregierung und dem chinesischen Ministerpräsidenten vereinbart. Klar ist aber: Nur modernste Bahntechnologien lassen sich im Ausland verkaufen.

ths

Das Fachgebiet Betriebssysteme elektrische Bahnen ist unter http://www.tu-berlin.de/fb10/ISS/FG6/ zu erreichen.

Dem Fortschritt hinterher dümpeln

Die Geschichte des Transrapids ist aufs Engste mit der TU Berlin verbunden. Peter Mnich, Professor am TU-Institut für Straßen- und Schienenverkehr und Geschäftsführer des Instituts für Bahntechnik (IFB), zählt zu den Kämpfern für den Transrapid. Das Aus für die Strecke Berlin-Hamburg nimmt er gelassen. Seine Überzeugung, dass Projekt sei zukunftsfähig, lässt er sich nicht nehmen. Und wie denkt die Öffentlichkeit?

Der Transrapid war auch im Herbst vergangenen Jahres anlässlich der Jubiläumsausstellung der TU Berlin "1799- 1999. Von der Bauakademie zur Technischen Universität Berlin" im Modell zu sehen. Hier einige Reaktionen der Besucher, die die Möglichkeit hatten, in einem Gästebuch ihre Meinung zum Transrapid zu Protokoll zu geben:

"Diskussionen wie um den Transrapid zeigen: Deutschland ist kein Technologiestandort, sondern ein Debattierclub."

"Wir sollten Know-how präsentieren und nicht nur denken."

"Die deutsche Industrie stellt sich ein Armutszeugnis aus, wenn sie vor einem solch zukunftsweisenden Projekt zurückschreckt."

"Transrapid Berlin-Hamburg ist Verschwendung von Ressourcen."

"Man sollte der Weiterentwicklung des Transrapid keine Beine stellen, denn das Zeitalter der Rädertechnik ist schon lange vorbei."

"Wieder einmal ist Deutschland Weltmeister - im Verschlafen neuer Technologien."


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