TU intern - Juni 2000 - Aktuelles
Diskussion zu eng geführt
Beim Thema Informatik sind nicht nur Universitäten gefragt
Schlangestehen für einen Informatik-Studienplatz im kommenden
Wintersemester |
Das Thema IT-Fachkräftemangel liegt seit zwei Jahren auf
dem Tisch, nur zur Kenntnis genommen hat es so gut wie niemand,
jedenfalls nicht in der breiten Öffentlichkeit. Erst der
CeBIT-Auftritt von Bundeskanzler
Gerhard Schröder brachte die Problematik in die Schlagzeilen.
Nun soll es in Berlin einen lokalen Numerus clausus geben - die
Universitäten befürchten einen Run auf das Fach Informatik.
"Dass in Sachen Ausbildung von Informatikern nur von den
Universitäten die Rede ist, verengt die Diskussion. Denn
seit geraumer Zeit werden Informatiker auch an Fachhochschulen
und Berufsakademien ausgebildet", so Herbert Weber, Professor
für Computergestützte Informationssysteme an der TU
Berlin und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik
(ISST). Und: Auch die Wirtschaft steigt inzwischen in die Ausbildung
von Informatikern ein.
Man konnte sich des Eindrucks zumindest in der Öffentlichkeit
nicht erwehren, der Mangel an Informatikern habe Deutschland kalt
erwischt. Doch die Entwicklung zeichnete sich schon lange ab,
wenngleich sie nicht zur Kenntnis genommen wurde. Während
die Industrie vor fünf Jahren keine Informatiker mehr einstellte,
änderte sich ihr Bedarf an Fachkräften vor etwa zwei
Jahren, als endlich auch die deutsche IT-Branche erkannte, dass
die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien der
Zukunftsmarkt schlechthin sind.
ALLE MÜSSEN UMDENKEN
Haben sich die Unternehmen ihren Personalnotstand also selber
zuzuschreiben? "Das Problem ist, dass die Wirtschaft ihre
Bedarfsprognosen immer an den jeweiligen Konjunkturzyklen ausrichtet.
Das ist legitim, aber für den Ausbildungsmarkt zu kurzfristig",
so Herbert Weber. Und: "Wer bei der Ausbildung von IT-Fachkräften
in alten Denkmustern verharrt, verliert. Alle Beteiligten müssen
umdenken: Politik, Wirtschaft und Wissenschaft", bringt Herbert
Weber das Dilemma des IT-Fachkräfte-Mangels auf den Punkt.
Den Bedarf der Unternehmen bekommen die Hochschulen natürlich
kräftig zu spüren. Im kommenden Wintersemester werden
die Abiturienten die Informatik-Studiengänge regelrecht stürmen.
Das wird für die Universitäten zu einer besonderen Herausforderung.
Herbert Weber warnt, sie dürften nicht den Fehler begehen,
auf eine lediglich bedarfsorientierte Ausbildung zu setzen. Denn
die Aufgabe der Hochschulen sei es, berufbezogene Ausbildung und
grundlagenorientierte Bildung zu vermitteln.
Doch die Universitäten werden immer weniger dazu in der Lage
sein, eine umfassende berufsbefähigende praxisorientierte
Ausbildung zu bieten. Dafür wandelt sich das produkt- und
dienstleistungsnahe Wissen mit Halbwertszeiten von anderthalb
Jahren zu schnell. "Wenn wir uns als Universität darauf
einlassen würden, mit der Entwicklung berufsbezogenen Wissens
Schritt zu halten, müssten wir unsere Lehrangebote alle anderthalb
Jahre umstellen."
Doch wer nur an die Universitäten denkt, vergisst, dass auch
die Fachhochschulen Informatiker ausbilden. Sie haben gerade eine
Ausbildungsoffensive angekündigt, die sich vor allem an Ingenieure
richtet. Sie sollen im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen
für eine Tätigkeit in der IT-Branche qualifiziert werden.
Neben den Fachhochschulen haben sich inzwischen auch Berufsakademien
gebildet, die oft in enger Kooperation mit der Wirtschaft eine
praxisorientierte Informatiker-Ausbildung anbieten.
BEDARFSORIENTIERTE FORTBILDUNG
Weil sich in der Wirtschaft zunehmend die Erkenntnis durchsetzt,
dass sie von den Universitäten und Fachhochschulen den praxisorientierten
Informatiker nicht erwarten kann, wird sie immer mehr selbst in
die Qualifizierung von Fachkräften einsteigen. Aber auch
hier zeichnen sich bereits neue Wege ab. "Während die
Unternehmen bislang in die kontinuierliche Weiterbildung ihrer
Mitarbeiter investiert haben, werden sie künftig nur noch
ganz gezielt am Bedarf orientiert fortbilden." Mit diesem
veränderten Weiterbildungsbedarf reagieren die Unternehmen
ihrerseits auf die rasante technologische Entwicklung.
Der Umstrukturierungsprozess, der auf Wissenschaft und Wirtschaft
zukommt, könne aber nur gelingen, wenn beide Seiten miteinander
ins Gespräch treten. "Bislang gibt es in Deutschland
keinen institutionalisierten Dialog zwischen Wissenschaft und
Wirtschaft - die gegenseitige Geringschätzung muss dringend
überwunden werden", so Herbert Weber.
ths
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