TU intern - Juni 2000 - Aktuelles
Geht dem Land die technische Elite aus?
Durch den Wirbel um die Informatik droht in Vergessenheit zu geraten,
dass es beispielsweise auch an qualifizierten Ingenieurwissenschaftlern
mangelt. Ganze Branchen suchen nach Ingenieuren und Naturwissenschaftlern,
aber der Arbeitsmarkt scheint leergefegt. Worauf die immer weiter
sinkende Attraktivität des Ingenieurstudiums zurückzuführen
ist, hat die Akademie für Technikfolgenabschätzung in
Baden-Württemberg untersucht und erste Ergebnisse jetzt vorgelegt.
In der ersten Hälfte der 90er Jahre haben sich rund 30 Prozent
weniger Studienanfänger für ein ingenieurwissenschaftliches
Fach eingeschrieben als im Durchschnitt der vorangegangenen Jahrzehnte.
Dieser Rückgang ist laut Studie zur Hälfte auf die sinkenden
Geburtenzahlen seit Mitte der 60er Jahre zurückzuführen.
Doch auch das mangelnde Vertrauen junger Menschen in Arbeitsmarktprognosen
beeinflusst die Studienwahl zuungunsten von Technik und Naturwissenschaft.
So hält die Entlassungswelle, die Ingenieure und Techniker
zu Beginn der 90er Jahre traf, von der Aufnahme eines Ingenieurstudiums
ab. Nur elf Prozent der Schüler, die ein ingenieurwissenschaftliches
Fach anstreben, begründen ihre Studienwahl mit guten Berufsaussichten
- bei Interessenten für wirtschaftswissenschaftliche Fächer
tun dies immerhin 26 Prozent.
Abschreckend auf ein ingenieur- oder naturwissenschaftliches Studium
wirken offenbar auch der mathematik- und theorielastige Physik-
und Chemieunterricht in den klassischen Gymnasien. So nennen 30
Prozent der Abiturienten Physik als unbeliebtestes Schulfach,
dicht gefolgt von Chemie. Dagegen stößt das - nur an
technischen Gymnasien - unterrichtete Fach "Technik"
auf fast ungeteilte Zustimmung. Außerdem kann von Technikfeindlichkeit
bei jungen Leuten keine Rede sein: Über die Hälfte findet
Sonnenenergie, Multimedia, Auto und Handy gut. 30 Prozent sind
sogar ausgesprochen technikbegeistert, nur 22 Prozent bezeichnen
sich als eher skeptisch. "Kommt die Schule dieser Einstellung
entgegen, wie die Technischen Gymnasien, so wird die Neigung zu
technischen und naturwissenschaftlichen Studien gefördert",
so Prof. Dr. Ortwin Renn, Sprecher des Vorstandes der Akademie
für Technikfolgenabschätzung.
Da vor allem die Schule persönliche Neigungen und Vorlieben
- auch die zu Technik und Naturwissenschaft - fördert oder
abschwächt, schlagen die Autoren der Studie unter anderem
vor, die Lehrpläne für naturwissenschaftliche Fächer
an Gymnasien zu revidieren: weg von der theoretischen und mathematischen
Abstraktion, hin zu mehr Anschaulichkeit und Experimentiermöglichkeiten.
Auch eine flächendeckende Einführung des Faches "Technik"
an allen Gymnasien - neben dem herkömmlichen Physikunterricht
- könnte nach Ansicht der Wissenschaftler langfristig die
Bereitschaft zu technischen Studiengängen fördern.
tui
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