TU intern - Juni 2000 - Forschung
Ein Flaschentrick verhindert Abstürze
Wie TU-Forscher die Luftströmung mit Schall beeinflussen
Das immer lautere Dröhnen der Turbinen und das zunehmende
Rütteln zeigen es den Fluggästen an: Gleich wird das
Flugzeug starten. Mit einem Ruck setzt sich die Maschine in Bewegung
und steigt kurz darauf gen Himmel.
Viele Faktoren spielen bei solchen Flugzeugstarts eine Rolle,
zum Beispiel der Anstellwinkel, also der Winkel zwischen der Luftströmung
und dem Tragflügelprofil. Ist der Anstellwinkel bei Start
oder Landung zu steil, droht das Flugzeug abzustürzen. Das
liegt an der Strömung, die bei extremen Bedingungen der Kontur
des Profils nicht mehr folgen kann und abreißt. Das bedeutet,
die Tragflächen können fast den gesamten Auftrieb verlieren.
Der Auftrieb ist nun aber genau die von der Luftströmung
erzeugte Kraft, die das Flugzeug in der Luft hält. Die Folge:
Das Flugzeug gerät ins Trudeln und saust dann wie ein Stein
zu Boden.
Forscher arbeiten schon seit einiger Zeit daran, das Abreißen
der Strömung zu beeinflussen. Wissenschaftler der TU Berlin,
die sich im Sonderforschungsbereich 557 "Beeinflussung komplexer turbulenter Scherströmungen"
mit dem Verständnis und der Verbesserung von Strömungsproblemen
beschäftigen, haben nun eine ungewöhnliche Methode entdeckt.
"Das Prinzip ist an sich kinderleicht", erzählt
Frank Urzynicok vom Hermann-Föttinger-Institut
der TU Berlin, "jeder hat sicherlich schon einmal über
eine Flasche geblasen und sich über den Ton gewundert, der
dabei entstand." Dieses Phänomen, das die Akustiker
Helmholtz-Resonanz nennen, wollen die TU-Forscher nutzen. "Strömungen
reagieren auf Schall. Man brüllt sozusagen Strömungen
an. Es entsteht eine Schwingung, die nicht nur einen Ton, sondern
kleine Luftwirbel in der Umgebung der Schallquelle erzeugt. Diese
kleinen Wirbel sorgen dafür, dass die Strömung, vereinfacht
gesagt, länger am Objekt klebt", erklärt Urzynicok.
Um den Schall zu erzeugen, hat man bisher immer mit Lautsprecheranlagen
gearbeitet. Wird nun der Effekt der Helmholtz-Resonanz ausgenutzt,
ist eine zusätzliche energiebetriebene Schallquelle überflüssig.
Urzynicok schätzt, mit der neuen Methode den Auftrieb eines
einfachen Tragflächenflügels bei extremen Anstellwinkeln
um zehn Prozent steigern zu können. Das würde die Sicherheit
bei Flugzeugen erheblich verbessern.
Auf die Idee sind die TU-Forscher zufällig gekommen. "Bei
einem früheren Versuch hatten wir einen schmalen Schlitz
quer über die Tragfläche geschnitten, der mit einem
Hohlraum innerhalb der Tragfläche verbunden war. In diesen
Hohlraum haben wir mittels eines Lautsprechers Schall geschickt
und diesen Versuchsaufbau im Windkanal getestet. Eines Tages stellten
wir zu unserer Überraschung fest, dass wir auch dann einen
Ton hörten, als der Lautsprecher ausgeschaltet war. Es ist
genau der gleiche Effekt wie beim Pfeifen über eine Flasche
hinweg", erzählt Urzynicok.
Nach einigen theoretischen Überlegungen und Versuchen mit
Modellen entpuppte sich das als sehr brauchbare Methode. Mittlerweile
haben die TU-Wissenschaftler ihr Versuchsmodell so umgebaut, dass
das Volumen des Hohlraumes und die Schlitzöffnung verändert
werden können. Durch Verkleinerung oder Vergrößerung
kann man die Frequenz der Schwingung beeinflussen. "Das lässt
sich beim Vergleich mit einer Flasche sehr gut nachvollziehen.
Je nachdem wie voll die Flasche ist, ändert sich der Ton",
schildert der TU-Mitarbeiter. Das hat den Vorteil, dass man den
Effekt gezielt steuern und damit flexibel auf die Strömung
reagieren kann.
Derzeit arbeiten die Forscher am TU-Institut an der Optimierung
ihres Systems. Urzynicok kann sich vorstellen, dass nicht ein
großer, sondern mehrere kleinere Schlitze am günstigsten
sind. Getestet wird aber auch, welches Material sich am besten
eignet. Außerdem wollen sie ein Modell entwickeln, das nicht
nur bei Flugzeugen, sondern auch bei anderen technischen Anwendungen
eingesetzt werden kann. Ein Problem ist derzeit jedoch die Lärmbelästigung.
"Wir können einen sehr lauten Ton erzeugen, aber irgendwann
ist die Grenze des Ertragbaren erreicht", sagt Urzynicok.
Christian Hohlfeld
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