TU intern - Juni 2000 - Studium
Zwischen Traum und Wirklichkeit
Studienreformprojekte sehen ihre Arbeit gefährdet
In der universitären Landschaft von Berlin gibt es seit
Jahren Ansätze zur Reform der Lehre, die sich in vielen projektorientiert
arbeitenden Veranstaltungen widerspiegeln. Dazu zählen die
Studienreformprojekte.
Sie werden von studentischer Seite gerne genutzt und vermitteln
wichtige Qualifikationen für die spätere Berufslaufbahn
wie eigenverantwortliches Arbeiten, den Blick über den Tellerrand
durch fächerübergreifende Ansätze sowie das Erfassen
realer Problemsituationen durch Praxisbezug. Die Studienreformprojekte
sehen sich angesichts der Sparzwänge akut bedroht, wie sie
im Folgenden erläutern, und laden am 29. Juni zu einer Informationsveranstaltung
ein.
Die TU Berlin ist bestrebt, ihre Position in der universitären
Landschaft gerade durch Erhöhung der Lehrqualität zu
verbessern. So wurden in einer Sitzung des Akademischen Senates
der TU Berlin am 16. Februar 2000 die "Leitlinien für die Weiterentwicklung von Studiengängen an der TU Berlin"
verabschiedet. Hierin wird die Bedeutung überfachlicher Studienanteile,
ausgeprägten Praxisbezugs sowie die Ausbildung und Weiterentwicklung
sozialer Kompetenz betont.
Motiviert durch den vom Berliner Senat geforderten Sparkurs an
den Universitäten werden aber auf der anderen Seite gerade
Studienreformprojekte, die zu den wenigen gehören, die diese
genannten Ziele bislang verwirklichen, in ihrer Eigenständigkeit
und Arbeitsfähigkeit erheblich eingeschränkt. So entsteht
heute an der TU Berlin eine immer größere Diskrepanz
zwischen Traum und Wirklichkeit.
Einige solcher Projekte existieren nun seit über 30 Jahren
an der TU Berlin und tragen ihren nicht unwesentlichen Teil zur
Wissensvermittlung und vor allem der Blickwinkelerweiterung der
Studierenden bei. Viele arbeiten interdisziplinär, wie z.
B. die Projektgruppe Praktische Mathematik, die seit 30 Jahren
in Projektform numerische Mathematik anwendungsorientiert vermittelt,
das heißt anhand von für Ingenieure interessanten Problemstellungen
(z. B. Simulation einer chemischen Reaktion, Eigenschwingungen
einer Brücke oder Simulation eines Solarkollektors). Hierbei
wird von der physikalischen und mathematischen Modellierung über
das Erlernen und Programmieren mehrerer numerischer Verfahren
bis zur Validierung der Ergebnisse ein Problem zusammenhängend
erarbeitet. Die Studierenden müssen also in dieser Veranstaltung
verschiedene Wissenspole miteinander verknüpfen und sie merken,
daß es nicht genügt, perfekt programmieren zu können,
wenn man ein technisches Problem nicht auch physikalisch beschreiben
kann.
Aber dies soll alles anders werden. Die Projektgruppe Praktische
Mathematik kann bereits jetzt keine semesterbegleitenden Lehrveranstaltungen
mehr anbieten und soll nach den Plänen des Fachbereichs Mathematik
durch eine klassische Lehrveranstaltung ersetzt werden.
Schlüssige Gründe für diese Entwicklung konnten
von keiner Seite benannt werden. Gängige Begründungen
waren die Finanzierung sowie die Modalitäten der Stellenbesetzung.
Doch die Art und Weise, wie mit den erwähnten Projekten umgegangen
wird, spricht für andere Gründe. Entscheidungen werden
unter Ausschluss der Projekte getroffen, Gespräche versanden
auf unverbindlichen Ebenen und konstruktive Vorschläge finden
keine Beachtung. Diese Art des Umgangs mit den Studienreformprojekten
ist nicht nur verletzend für die dort Arbeitenden, sie lässt
auch vermuten, dass die Projekte wegen Arbeitsweisen und ihrer
Unabhängigkeit den Hochschullehrenden ein Dorn im Auge sind.
Wir in den Studienreformprojekten Engagierten werden diesen Zustand
nicht akzeptieren und rufen zu vielfältigem Handeln auf.
Um über die Notwendigkeit solcher Freiräume zu diskutieren,
planen die Studienreformprojekte der TU Berlin am 29. Juni 2000
einen Aktionstag mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und der
Universität.
Initiative Studienreformprojekte
Leserbriefe
|