TU intern - Juni 2000 - Hochschulpolitik
"Der Wissenschaftsrat hat es sich mit der Berliner Lehrerbildung
leicht gemacht"
Der Wissenschaftsrat
(WR) hat empfohlen, an der TU Berlin "die Lehramtsstudiengänge
einzustellen", mit Ausnahme der Berufsschullehrerausbildung
und der Arbeitslehre.
Eingestellt werden sollen also die durch die Strukturentscheidungen
der TU Berlin von März 1998 verbliebenen Lehramtsfächer
Deutsch, Französisch, Geschichte, Physik, Chemie, Mathematik,
Sozialkunde/Politische Bildung (direkt erwähnt werden nur
Deutsch, Französisch, Geschichte; die anderen Fächer
werden nicht thematisiert). Deren Kapazitäten sollten nicht
etwa an die anderen Hochschulen verlagert, sondern zum Ausbau
der TU-Germanistik verwendet werden, um diese zu einem "Zentrum
für Gegenwartsliteratur" zu machen.
"Wenn der Wissenschaftsrat jetzt in seinem Gutachten den
,Abschied von der deutschen Voll-Universität' in den Blick
nimmt, dann fordert er am nahe liegenden Beispiel Berlins, was
Zukunft für die meisten deutschen Universitäten werden
kann."
Jürgen Kaube, FAZ
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Hier wie an anderen Stellen des Gutachtens zeigt sich, dass der
WR es sich mit der Berliner Lehrerbildung leicht gemacht hat.
Der WR nimmt nicht zu den Fragen der Berliner Ausbildungskapazität
im Lehramtsbereich, zu den unterschiedlichen Lehramtsabschlüssen
und zu der Frage Stellung, wie denn die komplizierte Abstimmung
für die Studierenden zwischen Erstfach, Zweitfach, Grundwissenschaften,
Fachdidaktiken und Praktika verbessert werden kann. Vor diesem
Hintergrund sind folgende Schlüsse zu ziehen:
Berufsschullehrer studieren neben ihrer beruflichen Fachrichtung
immer auch ein zweites Fach. Oft sind dies Sozialkunde oder Deutsch,
Fächer, die es auch in der Berufsschule gibt. Ohne Zweitfächer
an der TU Berlin würde die ohnehin zu geringe Zahl von Studierenden
für das berufliche Schulwesen, längst ein Mangelfach,
weiter abnehmen.
Die Abschaffung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer
im Lehramtsbereich würde nicht nur die Lehrkapazität
auch für die Diplomstudiengänge drastisch verringern,
sondern die allseits beklagte nachlässige Orientierung der
Schul- und Hochschulpolitik für Naturwissenschaften weiter
verstärken. Es wäre ein Widerspruch, sich einerseits
über das sinkende Interesse der Schüler/innen an Naturwissenschaften
und deren allenfalls mittelmäßige Leistungen zu beklagen,
andererseits die Lehramtskapazität um einen ganzen Standort
zu verringern.
Die Abschaffung der Lehramtsstudiengänge Deutsch, Französisch,
Geschichte und Sozialkunde (auch noch zugunsten von Germanistik
als Magister, ein in Berlin überfülltes und wenig mit
Berufschancen verbundenes Fach) würde aus gerade genannten
Gründen nicht nur die Attraktivität der verbleibenden
Fächer verringern, weil dann kaum noch ein Lehramtsstudium
zur Gänze an der TU Berlin möglich wäre. Auch die
gerade eingeleitete Studienreform der TU Berlin wäre kaum
noch realisierbar. Gerade das Wechselspiel zwischen den Ingenieur-
und Planungswissenschaften einerseits und den Sozial- und Geisteswissenschaften
andererseits macht den Reiz - und die Zukunftsfähigkeit -
der neuen TU Berlin aus.
"Seit Jahren sinkt der deutsche Forschungsetat. Doch beim
Sparen sollte man nicht beim Gehirn anfangen."
Prof. Dr. Jürgen Mlynek, künftiger Präsident
der Humboldt-Universität
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Der Vorschlag, ein mit dem Max-Planck-Institut
verbundenes Institut aller Universitäten für die Weiterentwicklung
der Fachdidaktiken zu gründen, macht angesichts des gescheiterten
FU-Zentralinstituts nur Sinn, wenn es - außerhalb der Lehre
und der Betreuung von Praktika - dazu diente, in großem
Stil Unterrichtsforschung für die Region durchzuführen.
Hier müssten die beiden Länder Berlin und Brandenburg
erhebliches eigenes Forschungsgeld investieren, um entsprechende
größere Vorhaben, die auf die Lösung regionalspezifischer
Problemlagen zielten, zu realisieren.
Der WR beklagt generell die fehlende Abstimmung zwischen den Universitäten,
auch im Lehramtsbereich. Er hat offenkundig nicht zur Kenntnis
genommen, dass es solche Abstimmungen regelmäßig -
durch die zuständigen Vizepräsidenten für Lehrerbildung
- gibt, dass schon 1995 die Hochschulen einen kritischen Bericht
zur Lehrerbildung Parlament und Senat vorlegten. Seit 1999 arbeiten
gemeinsame Kommissionen aus Hochschulen und Senat an Bedarfs-
und Ausbildungsfragen der Lehrerbildung. Was fehlt, ist ein stärkerer
Professionsbezug in der fachwissenschaftlichen Ausbildung. Was
ebenfalls fehlt, ist eine institutionelle Verbindung von Erstausbildung,
Referendariat, Fort- und Weiterbildung für praktizierende
Lehrer, eine kritische regelmäßige Erörterung
der regionalen pädagogischen Probleme und kreative Lösungsfindung.
Da auf die dem WR vorgelegten ausführlichen schriftlichen
Darlegungen der TU-Erziehungswissenschaften mit ihren Forschungsprofilen
im Gutachten nicht Bezug genommen wird, soll betont werden, dass
die künftigen Schwerpunkte der Erziehungswissenschaften,
die sowohl für einen eigenständigen Magisterstudiengang
als auch für die Studierenden im Lehramt relevant sind, weiterhin
als zentral angesehen werden: Bildung in Technik und Naturwissenschaft,
Pädagogische Folgen des Wandels von Kindheit und Jugend,
Interkulturelle Erziehung, Integrationspädagogik, neue Medien
und Technologien bei Lernprozessen, Berufspädagogik und Arbeitslehre,
Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Für solch eine integrierte
Leitorientierung ist die neue TU Berlin die richtige Ausbildungs-
und Forschungsstätte.
Leserbriefe
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