TU intern - Juni 2000 - Hochschulpolitik
"Geisteswissenschaftler als Pausenclowns zwischen Mathematik
und Informatik"
Seit dem Beginn der 90er Jahre gleitet der Rotstift über
die Berliner Hochschulen. Jetzt, im Sommer 2000, droht er zum
Damoklesschwert für ganze Fakultäten zu werden. Um es
öffentlich wirksam führen zu können, erbat sich
Berlin die Hilfe des Wissenschaftsrates (WR). Sie kam am 12. Mai
in der Form eines 184 Seiten starken Opus. Dessen Seiten 68-77
und 158-162 verschreiben den Geisteswissenschaften an der TU Berlin
eine Zukunft am Rand der universitären Gesellschaft: Das
Aus für alle Lehramts- und die meisten Magisterstudiengänge
sowie die Ausrichtung der Geisteswissenschaften auf die Bedürfnisse
der technischen Fächer. Zum Dessert wird ein historischer
Exkurs gereicht: In den 50er Jahren im Kontext eines Studium generale
gegründet, seien die Geisteswissenschaften Ende der 60er
im Zeichen zunehmender ideologischer Grabenkämpfe über
Gebühr verstärkt worden, eine Konstellation, die in
den 90ern voraussetzungslos geworden sei. Dies ist Galimathias
vom Feinsten und niemand wird auf den Einfall kommen, über
dieser Verballhornung der Universitätsgeschichte warte der
Heilige Geist.
"Es ist nicht die Intention des Papiers, die Geisteswissenschaften
aus der TU zu vertreiben."
Prof. Dr. Winfried Schulze, Vorsitzender des Wissenschaftsrates
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Er hat, wie sich schnell herausstellt, den Autoren des Papiers
auch sonst unnachsichtig den Rücken gekehrt. So unterstellen
sie ungeprüft, dass Berlin auch ohne die TU Berlin genügend
qualifizierte Lehrer ausbilden kann und dort ansässige Philologen
und Historiker nur dann gute und nützliche sind, wenn sie
lernen, das Lied der technischen Disziplinen zu singen. Studierende
kommen erst gar nicht vor. Sie verschwinden einfach hinter der
gebetsmühlenartig wiederholten Forderung: Lehrämter
raus, Technikbezug rein. Geisteswissenschaftler als Pausenclowns
zwischen Mathematik und Informatik für Ingenieure, Vorlesungen
über die Geschichte der Schraube statt über Jesus von
Nazareth, Übungen zu den technischen Grundlagen von Goethes
Farbenlehre statt über die Romane von Thomas Mann, Seminare
über elektronische Gitarren statt über die Musikdramen
Richard Wagners? Allgemeiner formuliert: Eigene grundständige
Magisterstudiengänge oder schlecht bestellte Spielwiesen
innerhalb anderer, technischer Studiengänge? Abschlüsse,
die an anderen Universitäten anerkannt werden oder eigene,
neue und originelle Gewächse?
Der WR hat dieses Thema keineswegs zufällig wie eine heiße
Kartoffel fallen lassen. Hat er doch auf die einfache Frage, warum
sich eine Technische Universität auch in schwierigen Zeiten
eine Philosophische Fakultät leistet, eine allzu simple Antwort
gefunden. Sie wischt alle in den letzten Jahren an der TU Berlin
gefundenen Lösungen wie lästige Fliegen vom Tisch. Insbesondere
negiert sie, dass die Studierenden der Natur- und Ingenieurwissenschaften
längst mit den Füßen darüber abgestimmt haben,
was sie wollen: Kombinationen ihrer Fächer mit denen des
Magisterstudiums, geisteswissenschaftliche Angebote als Vertiefungsfächer,
fächerübergreifende Veranstaltungen unter dem Stichwort
"Studium generale". Und umgekehrt die Studierenden der
klassischen Geisteswissenschaften: Auch sie haben gelernt, die
Angebote der technischen Fakultäten anzunehmen und ihre Fächer
mit Informatik, Physik, Elektrotechnik u.a. zu kombinieren - die
Zwänge des Arbeitsmarktes wirkten hier schneller als wohlmeinende
Ratschläge.
"Für diejenigen, die sich aus dem Gutachten neue
Spielräume für kurzfristig wirksame Rotstiftaktionen
erhofft haben sollten, sind die Empfehlungen sowieso bad news.
Denn der Wissenschaftsrat lässt keinen Zweifel daran, dass
schon die derzeitige Finanzierung im Hinblick auf das Ziel von
85000 Studienplätzen zu knapp ist."
Prof. Dr. Hans-Jürgen Ewers, Präsident der TU Berlin
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Nichts davon bewegt den WR. Lesen wir nach im Urteil über
die Geschichtswissenschaft. Für sie, die bisher von der athenischen
Demokratie bis zu den Diktaturen des 20. Jahrhunderts alle klassischen
Themen beackerte, sei die TU Berlin "nicht der angemessene
Ort". Angemessen sei dort vielmehr ein "Zentrum für
Theorie und Geschichte der Wissenschaft und der Technik",
das weiträumig in Berlin und Brandenburg kooperieren müsse.
Der Kundige reibt sich die Augen. Kennt er doch an der TU Berlin
ein florierendes Unternehmen namens "Wissenschafts- und Technikgeschichte",
an dem drei Professoren arbeiten und das um internationales Ansehen
und landesweite Kooperation gewiss nicht bemüht sein muss
- es hat beides im reichen Maße. Kein Wort davon in den
184 Seiten des Rates, kein Wort auch über Fächer wie
Kommunikationswissenschaft oder Medienberater, kein Wort über
die seit langem sorgsam geknüpften Verbindungen innerhalb
der Universität. Stattdessen: die lapidare Mitteilung, dass
die Philosophie, die Semiotik, die Kunst- und die Musikgeschichte
"ohne Mühe" und "bei entsprechender Akzentuierung"
den Weg zu den technischen Fächern finden könnten. Am
Ende solcher und anderer Albernheiten kommt auch die Logik ins
Schwitzen. Schlagen wir zum Beweis dazu die Empfehlung zur Germanistik
auf. Vom Rat hoch gelobt wegen ihrer "singulären literaturpolitischen
Aktivitäten" soll sie zur Keimzelle eines Zentrums "für
europäische und außereuropäische Gegenwartsliteratur"
mutieren, das "in engem Kontakt mit der literarischen Praxis
der Gegenwart wie der Literaturkritik steht." Von Potsdam
bis Frankfurt/Oder soll es wirken, alle anderen Berliner Literaturzentren
befruchten und dabei auch die Freie
und die Humboldt-Universität
nicht vergessen. Große Worte, hehre Ziele. Wo aber, zum
Henker, bleiben die geforderte Kooperation mit den technischen
Fächern, wo die innere Anbindung an die TU, wo die Studierenden,
die ein solches über den Wassern schwebendes Zentrum schnell
durchschauen werden: Eine Institution, die das Geld verbrät,
das ihren Ausbildngsgängen genommen wird.
Gewiss: Es tut immer gut, einer Philosophischen Fakultät
Beine zu machen, wenn sie allzu selig im eigenen Saft schmort
und ihre Pflichten gegenüber den technischen Disziplinen
nicht ernst genug nimmt. Die TU Berlin kann sich Orchideen im
Knopfloch nicht leisten. Aber sie weiß besser als der WR:
Nimmt man den Geisteswissenschaften ihre eigenen grundständigen
Studiengänge, so sind sie für nichts und niemanden gut
und keinen Schuss Pulver wert - wie das Papier des Wissenschaftsrates.
Leserbriefe
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