TU intern - Mai 2000 - Medien
Er wehrte sich und fügte sich doch
Ferdinand Marian und der Nazi-Film "Jud Süß"
Ferdinand Marian als Jud Süß |
Es ist der Traum eines jeden Schauspielers - die Rolle seines
Lebens. Für den Hauptdarsteller des berüchtigten Nazi-Propaganda-Films
"Jud Süß" wurde diese Rolle zu einem Verhängnis.
Der Filmstar Ferdinand Marian hatte sie nur widerstrebend angenommen:
Ein Jahr lang wehrte er sich, sprach sogar bei Joseph Goebbels
persönlich vor, war aber doch zu schwach, nein zu sagen,
und fügte sich dem persönlichen Wunsch des Propagandaministers.
Friedrich Knilli, Emeritus der TU Berlin, beschäftigt sich
seit den 70er Jahren mit der Lebensgeschichte des Ferdinand Marian
und hat sie nun als Buch vorgelegt. Das Neue: Fußnoten und
Quellenmaterial werden im Internet veröffentlicht (siehe unten).
Im vergangenen Jahrhundert gab es Filmrollen, die nicht nur die
Identität, sondern sogar das Leben kosteten. Eine solche
war auch der Jud Süß. Ferdinand Marian, der ein in
der Weimarer Republik und im Dritten Reich bekannter Schauspieler
war, wird nur noch mit seiner Rolle in dem Nazi-Propaganda-Film
identifiziert. Warum hat sich Marian zunächst ein Jahr gegen
diese Rolle gewehrt und sie dann doch angenommen? Weil er "gerne
gut aß und viel trank und an einer ständigen Angst
vor sozialer Missachtung litt", beschreibt Friedrich Knilli
die tragische Entscheidung Marians in seinem aufschlussreichen
Buch.
DAS PUBLIKUM STÜRMTE DIE KINOS
"Jud Süß" gehört zu einem der erfolgreichsten
Filme der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Publikum
stürmte nur so in die Kinos. Marian zeigt einen tragischen
Liebhaber, der es mit den großen Charakteren Shakespeares
aufnehmen kann. "Er zeigt keine antisemitische Karikatur,
sondern realistisch einen Juden, der sich in einem von Judenhass
durchtränkten Deutschland assimilieren möchte. Und Marian
benutzt dafür Verfremdungstechniken, die ihm der Brecht-Regisseur
Erich Engel inmitten der Nazizeit in Berlin beibringt. Er gibt
mit epischen Elementen der Figur eine Tiefe des Gefühls,
die nur Feuchtwanger mit seinem dramatischen Roman erreichte."
Die Darstellungskunst des österreichischen Schauspielers
Marian macht den Film zu einer modernen love story, die mit antisemitischen
Stereotypen gespickt ist. "Sein Süß ist die Kinoikone
einer tragischen Liebesaffäre zwischen einem assimilierten
Juden und einer Deutschen inmitten des Holocaust." So bringt
Ferdinand Knilli die Ästhetik treffend auf den Punkt.
Die Uraufführung in Berlin im Herbst 1940 wird als "antisemitischer
Staatsakt" inszeniert. Neue Pogrome erwartet nicht nur die
"Reichsvereinigung der Juden in Deutschland", sondern
auch das Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße.
Zu Recht: Immer wieder kommt es nach Aufführungen zu antisemitischen
Ausschreitungen.
Zur Premiere im Berliner Ufa-Palast sind nur geladene Gäste
anwesend, fast das gesamte Reichskabinett. Die anschließende
Feier ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn elf Minuten vor Mitternacht
greifen britische Bomber Berlin an und zerstören Häuser
und Menschen, "aber keinen, der die sadistische Hinrichtung
des Hofjuden Süß begeistert gefeiert hat".
Für den Erfolg des Films hat Propagandaminister Joseph Goebbels
persönlich Sorge getragen. "Er befahl in einer geheimen
Ministerkonferenz seinem Pressechef, dafür zu sorgen, dass
die Premiere ihrer Bedeutung entsprechend herausgestellt und dass
Süß nicht etwa nur unter dem Strich behandelt wird."
Die "antisemitischen Zeitungsjournalisten" tragen ihren
Teil dazu bei, wenn sie dem Publikum klarmachen, "dass es
sich bei Ferdls jüdischem Lord um den ersten Spielfilm zur
Endlösung der Judenfrage handelt".
Marian berauschte sich an dem Erfolg und genoss die Ehren und
Wohltaten in vollen Zügen. Nach dem 8. Mai 1945 flüchtet
er nach Österreich, wo er sich zunächst versteckt. Auf
seine Wiederzulassung als Schauspieler wartet er vergeblich. Am
9. August 1946 kommt er bei einem Verkehrsunfall ums Leben. War
es ein Unglück, war es Selbstmord, war es ein Anschlag? Man
weiß es nicht.
Thomas Schulz
Friedrich Knilli, Ich war Jud Süß. Die Geschichte des
Filmstars Ferdinand Marian. Mit einem Vorwort von Alphons Silbermann,
Henschel Verlag, Berlin 2000, 39,90 DM. Fußnoten: http://www.kinomarkt.de
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Es ist ein Versuch, der überzeugt: Die deutsche Fußnote
aus dem 19. Jahrhundert den Neuen Medien im 21. Jahrhundert anzupassen.
Friedrich Knilli unternimmt den wohl weltweit ersten Versuch,
das umfangreiche Quellenmaterial seines Buches "Ich war Jud
Süß" nicht im Buch selbst unterzubringen, sondern
im Internet. Gemeinsam mit Marion Hastedt und Barbara von der
Lühe entwickelte er am Fachgebiet Medienwissenschaft und
Medienberatung der TU Berlin und dem GMD-Institut Rechnerarchitektur und Softwaretechnik
die Domaine Kinomarkt.de.
Auf dieser Plattform sowie auf der Homepage des Studienganges
Medienberatung der TU Berlin (http://www.medienberatung.tu-berlin.de)
sind die Fußnoten des Buches mit allen Zitat- und Abbildungsnachweisen
zu finden. Darüber hinaus finden sich dort weitere Kommentare
und Abbildungen sowie persönliche Dokumente und Künstlerpostkarten
von Ferdinand Marian, eine erweiterte Bibliographie, ein umfangreiches,
jeweils nach Jahren, Orten, Personen und Rollen geordnetes Register,
ein Verzeichnis aller Theaterstücke, Hörspiele und Spielfilme,
in denen Marian mitwirkte. Diese Sammlung wird monatlich ergänzt.
Diese umfangreichen Primär- und Sekundärquellen erzählen
die zweite Geschichte von Friedrich Knillis Marian-Buch - die
Forschungsgeschichte.
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