TU intern - Mai 2000 - Alumni

Adolf Scheibe

Passionierter Entwickler

Als Adolf Scheibe Ende April nach rund 30 Jahren erstmals wieder das TU-Gelände betrat, fühlte er sich in seine Studentenjahre zurückversetzt. Ihm schien es, als habe sich nichts verändert, jedenfalls was das Erscheinungsbild des Campus betrifft. Der 1944 Geborene hat von 1963 bis 1969 hat er an der TU Berlin Physik studiert und war anschließend für ein halbes Jahr Assistent am 1. Physikalischen Institut (Prof. Boersch). Weil er das Gefühl hatte, dass sich seine Promotion hier zu lange hinziehen könnte, hängte er Assistentenjob und Promotionsthema an den Nagel und wechselte zur Metallphysik, wo er im Dezember 1972 nach nur drei Jahren zum Dr.-Ing. promovierte. "Hier hatte man es selbst in der Hand, wie schnell man war."

Studieren im Zentrum der Studentenproteste - Adolf Scheibe hielt sich da heraus und konzentrierte sich stattdessen auf Studium und Promotion. Flucht vor der Wirklichkeit? "Das hatte sicherlich auch etwas mit der damaligen Arroganz des angehenden Physikers gegen Andersdenkende und dem Wunsch zu tun, rasch fertig zu werden. Da hat mich alles andere nur am Rande interessiert."

Nach seiner Promotion ging er in der Industrie auf Jobsuche. Er stieg im Frühjahr 1973 bei Siemens in München ein, und zwar im Bereich Halbleiter, der heutigen Siemens-Tochter "Infineon". "Ich wollte nicht im Elfenbeinturm der Grundlagenforschung auf spätere Meriten warten, sondern praxisorientiert entwickeln." Bei Siemens brachte er es vom Entwicklungsingenieur langsam aber sicher bis zum Leiter der Chipfabriken in München-Perlach und später in North-Tyneside in England - eine Musterkarriere.

Was beim heutigen Stand der technologischen Entwicklung wenig spektakulär erscheint, war Mitte der 70er Jahre absolutes Neuland: die Entwicklung von Speicherchips für den Einsatz in Großcomputern und - später - Personalcomputern und Chipkarten. "Zunächst ging es darum, das, was die Vorreiter in Silicon Valley (Intel u.a.) auf diesem Gebiet entwickelt hatten, nachzuvollziehen. Dafür haben wir die Chips zersägt und den Technologieaufbau analysiert." Ende der 70er Jahre hatte Siemens schließlich aufgeholt und kam mit dem 16 kbit-Chip groß raus. Darüber hinaus gelang mit auf eigenen Patenten beruhenden nichtflüssigen Speicherchips zur Umprogrammierung von Fernsehgeräten erstmals der weltweite Durchbruch dieser neuartigen Chips zur Massenfertigung.

Zu dieser Zeit war Adolf Scheibe Laborleiter und auf dem Weg zum Abteilungsleiter in dem Logik-Innovationszentrum von Siemens in München-Perlach. Hier leitete er die Entwicklung von "Logik-Chips", wie sie etwa in Handys, Schnurlostelefonen oder in der Automobilelektronik und Chipkartentechnik eingesetzt werden. Als Abteilungsleiter ging es aber nicht mehr nur um Entwicklungstätigkeit, sondern zunehmend auch um Managementaufgaben wie Personalleitung, Entwicklungs- und Budgetplanung. Bei jungen Akademikern vermisste er immer wieder die Fähigkeit zur Teamarbeit, "ein Kernstück im heutigen Berufsleben." Ein anderes Problem war das Alter der Bewerber. Wer etwa wegen einer Promotion über 30 war, hatte kaum eine Chance. "Ich brauchte Leute, die Mitte 20 waren, denn nur sie besaßen noch kreatives Potenzial. Das ist einfach so."

Im Herbst 1993 stieg Adolf Scheibe zum Leiter der Chipfabrik in München-Perlach auf. Zu diesem Zeitpunkt kein leichter Job, denn die Fabrik schrieb seit Jahren rote Zahlen. Doch das änderte sich bald mit dem dramatisch steigenden Bedarf an digitalen Logik-Chips für Kommunikationssysteme.

Weil die Fertigungskapazität in München-Perlach nach zwei Jahren nicht mehr ausreichte, sollte eine neue Fabrik in England aufgebaut werden. Auf der grünen Wiese wurde eine Produktionsstätte für 16 Mbit-Speicherchips aus dem Boden gestampft. "Das alles wurde in weltweit einzigartigem Rekordtempo bewerkstelligt." Die Rechnung ging dennoch trotz hervorragender technischer Performance bei 16 M und 64 M nicht auf, aus heutiger Sicht. Im Sommer 1998 fiel die Entscheidung, die Fabrik wieder zu schließen. Auf dem Weltmarkt gab es bereits seit zwei Jahren eine hohe Überproduktion, der Siemens schließlich auch nicht mehr Stand halten konnte.

Für Adolf Scheibe war das der i-Punkt nach einem an Herausforderungen und Erfolgen reichen und spannenden Berufsleben. Er beschloss, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen. Auch das Angebot von Siemens, in Amerika eine lukrative Aufgabe zu übernehmen, konnte ihn nicht mehr davon abhalten.

Thomas Schulz


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