TU intern - November 2000 - Internationales

Auf Hilfsbereitschaft kann jeder zählen

Ein Aufenthalt an der französischen Eliteschmiede École des Mines Saint-Étienne

Ein Studium an der École des Mines Saint-Étienne ist für Franzosen mit einer aufwendigen Prozedur verbunden. Austauschstudierende haben es da schon etwas einfacher. TU-Studierende der Energie- und Verfahrenstechnik können im Hauptstudium zwei Jahre an der École National Supérieure des Mines de Saint-Étienne studieren. Der Aufenthalt kann mit einem Doppeldiplom abgeschlossen werden. Über ihre Erfahrungen an der französischen Eliteschule berichten Anja Holstein und Robert Malleé.

Der Zugang zum Studium an einer Grande École ist für Franzosen mit hohen Hürden verbunden. Bereits vor dem Abitur müssen sie eine Bewerbungsmappe einreichen, die in Abhängigkeit der schulischen Leistungen über die Aufnahme in die so genannten Vorbereitungsklassen (classes préparatoires) entscheidet. Die Kandidaten für die Ingenieursschulen verbringen in der Regel zwei Jahre mit den classes préparatoires, anschließend müssen sie eine ganze Reihe von Aufnahmeprüfungen absolvieren. Wer sein Ziel verfehlt und an keiner der begehrten Schulen angenommen wird, kann es ein Jahr später noch einmal probieren. Da hatten wir es als Austauschstudierende schon einfacher, einen Studienplatz an der École des Mines Saint-Étienne zu bekommen.

ZUSAMMENGEHÖRIGKEITSGEFÜHL

Die éleves der Grandes Écoles wissen, welche Mühe sie die Aufnahme gekostet hat. Im Gegensatz zu anderen Schulen des Landes besteht in Saint-Étienne zwischen den Studierenden kein Konkurrenzdenken, sondern ein ziemlich ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Und: Auf die Hilfsbereitschaft untereinander kann jeder zählen, der beim Lernstoff einmal nicht ganz mitkommt. Davon haben wir schließlich reichlich Gebrauch gemacht, nachdem wir zahlreiche Nachmittage damit verbracht hatten, beispielsweise die schwierigen Matheaufgaben alleine zu lösen. Unsere französischen Kommilitonen brauchten nur wenige Minuten, um uns den Lösungsweg zu zeigen. Man sollte also keine falsche Eitelkeit an den Tag legen. Die Franzosen sind in Mathematik einfach besser, da kann man sich noch so abrackern.

GENERALISTISCHES STUDIUM

Das Studium an der École des Mines Saint-Étienne ist sehr viel generalistischer angelegt als das Studium in Deutschland bzw. an der TU Berlin. Wenn wir der Meinung waren, das eine oder andere physikalische Phänomen verstanden zu haben, so mussten wir bald merken, dass uns das wenig weiterhalf, wenn wir nicht ebenso in der Lage waren, komplexe Differenzialgleichungen zu lösen. Gewöhnungsbedürftig war die denn doch strenge Teilnahmepflicht, auch wenn die Anwesenheit nicht regelmäßig kontrolliert wurde. Wer die Abwesenheit übertrieb, bekam das zu spüren: Da konnte die Klausur durch eine Extraaufgabe schon mal erheblich schwieriger werden.

Obwohl die meisten Studierenden im Studentenwohnheim wohnen, haben wir uns für ein Appartement außerhalb des Campus entschieden. Das führte dazu, dass wir gelegentlich gemeinschaftliche Aktivitäten verpassten. Da die Mieten aber relativ niedrig sind, konnten wir uns eine große Altbauwohnung leisten, was wir sehr genossen haben.

Natürlich mussten wir für das Studium viel arbeiten, um den Anschluss nicht zu verlieren. Dennoch bleib Zeit beispielsweise für das Nachtleben. So fand jeden Donnerstag eine Party statt, immer abwechselnd im Studentenwohnheim und in der Stadt.

Anja Holstein, Robert Malleé

École des Mines Saint-Étienne

Seit 1989 gibt es das gemeinsame Studienprogramm zwischen der École des Mines und dem Institut für Verfahrenstechnik der TU Berlin, das mit Mitteln des Deutsch-Französischen Hochschulkollegs aufgebaut wurde. Die Studierenden können in diesem Rahmen ein- oder zweijährige Studienaufenthalte in Frankreich absolvieren, wobei der zweijährige Aufenthalt zur Doppeldiplomierung führt. In der Regel können bis zu vier Austauschstudierende an dem Programm teilnehmen. Die Auswahl der Studierenden erfolgt nach den im Hauptstudium erbrachten Studienleistungen und - bei dem zweijährigen Aufenthalt - nach der Qualität der Studienarbeit. Wichtig ist auch der persönliche Eindruck, der in einem Auswahlinterview unter Beteiligung des programmbetreuenden Hochschullehrers entsteht. Eine entscheidende Voraussetzung für die Teilnahme an dem Programm sind gute französische Sprachkenntnisse. Die TU Berlin bietet daher spezielle Sprachkurse an, die die Studierenden auf ihren späteren Auslandsaufenthalt vorbereiten sollen. Diejenigen, die für ein Auslandsstudium an der École des Mines nominiert sind, erhalten derzeit ein Teilstipendium in Höhe von 350,- DM.

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