TU intern - November 2000 - Internationales
Exkursion:
Auf den Spuren der deutschen Geschichte in Polen
Der pommersche Landsitz der Familie Bismarck beherbergt heute
eine europäische Akademie |
Deutschland und Polen - eine Beziehungsgeschichte der besonderen
Art. Seit der Vereinigung Deutschlands und dem politischen Umbruch
in Polen hat sich zwischen beiden Staaten eine verlässliche
Partnerschaft entwickelt. So ist der Nachbar im Osten inzwischen
zum größten Handelspartner avanciert.
Im Rahmen des 8. deutsch-polnischen Studienseminars in Stettin
(Szczecin) machten sich 15 Studierende gemeinsam mit Prof. Helga
Marburger und Prof. Norbert H. Weber vom Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften
der TU Berlin auf die Suche nach deutschem Leben in der Woiwodschaft
Stettin. Hier gibt es noch eine deutsche Minderheit, die rund
1000 Menschen zählt. Dabei handelt es sich um Deutsche, die
nach 1945 in ihrer alten Heimat geblieben sind; ihr Durchschnittsalter
beträgt heute ca. 60 Jahre.
Von der demographischen Zusammensetzung her ist die im Krieg zu
fast 60 Prozent zerstörte Stadt eigentlich eine "Stadt
ohne Wurzeln". Denn nach 1945 siedelten sich hier viele Polen
an, die aus ihrer ostpolnischen Heimat vertrieben worden waren.
Diese polnischen Bürger haben Stettin, nun "ihre"
Stadt, wieder aufgebaut, darunter aber auch zahlreiche deutsche
Kulturdenkmäler restauriert bzw. instand gesetzt.
Anlässlich eines Landausfluges besuchten wir das Dorf Kulice
(vormals Külz), etwa 65 Kilometer nordöstlich von Stettin.
Hier ließ der Urgroßvater des späteren Reichskanzlers
Otto von Bismarck zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein Gutshaus,
eines von drei Landsitzen der Familie in Pommern, im klassizistischen
Stil errichten. Nach 1945 wurde dieses Gebäude von einem
landwirtschaftlichen Kombinat als Wohn- und Bürohaus genutzt;
seit Anfang der neunziger Jahre stand es leer und drohte zusehends
zu verfallen. Dr. Phillip von Bismarck, der in diesem Haus seine
Kindheit verbrachte, setzte sich für die Restaurierung dieses
Bauwerkes ein, nachdem das Denkmalschutzamt der Woiwodschaft Stettin
dieses Objekt als "erhaltenswertes europäisches Kulturdenkmal"
eingestuft hatte. Die Mittel für die Restaurierung des Gebäudes
stellte das deutsche Bundesministerium des Inneren zur Verfügung,
während der Innenausbau zu einer "Lehr- und Tagungsstätte"
von der in Warschau ansässigen "Stiftung für deutsch-polnische
Zusammenarbeit" übernommen wurde.
Stolz zeigte uns die Akademieleiterin das seit 1995 fertig gestellte
Tagungshaus und stellte uns das Akademie-Programm vor. Aufgabe
dieser Institution ist es, durch Begegnungen zwischen jungen Menschen
aus Polen und Deutschland zu einem besseren Verständnis des
jeweiligen Nachbarn beizutragen. Inzwischen hat sich diese Akademie
zu einem europäischen Begegnungszentrum entwickelt, das nicht
nur Wissenschaftlern zur Verfügung steht, sondern auch Kaufleuten,
Landwirten, Handwerkern, Studenten und Schulklassen. Rechtsträger
sind die deutsche "Stiftung Külz-Kulice", eine
Gesellschaft für deutsch-polnische Zusammenarbeit mit Sitz
in Hannover, und die "Fundatia Europea Pomerania", eine
polnische Stiftung mit Sitz in Stettin.
Efkan Gök, Norbert H. Weber
Leserbriefe
|