TU intern - November 2000 - Rechtsextremismus

"Ausgrenzung schafft Märtyrer"

In der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist vor allem konkrete Projektarbeit gefragt


Dass ein NPD-Verbot rechtsradikale Strukturen zerschlagen würde, glauben nur 22 Prozent der Bundesbürger. 72 Prozent der Befragten meinen, dass Rechtsradikale sich anders organisieren werden. Das ergab eine Spiegel-Umfrage von Mitte Oktober dieses Jahres

Ein NPD-Verbot wollen Bundesregierung und Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Reicht dies im Kampf gegen rechte Gewalt aus? Darüber sprach TU intern mit Ulrich Dovermann. Er ist Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung, die dem Innenministerium angegliedert ist. Der ehemalige Lehrer steht dort einem Projekt vor, das sich künftig mit Rechtsextremismus auseinander setzen wird.

In welcher Form kann eine Bundesinstitution wie die Zentrale für politische Bildung jenseits gelehrter Debatten und Absichtserklärungen praktisch gegen Rechtsextremismus und rechte Gewalt tätig werden?

Viel direkter als die Bundeszentrale werden ja die sozialen Einrichtungen vor Ort mit dem Rechtsextremismus konfrontiert. Dort müssen wir Wirkungen und Erfolge erzielen: Also wollen wir auch dort Projekte initiieren, fördern und kooperativ unterstützen. Es geht gerade jetzt nicht darum, eine vermeintliche Wahrheit in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu verkünden, sondern Menschen, die sich gegen Rechts engagieren, zusammen zu bringen und deren Arbeit zu unterstützen.

Welche konkreten Projekte sollen künftig von Ihnen unterstützt werden?

Wir wollen zum Beispiel mit dem Deutschen Fußballbund zusammenarbeiten. Speziell die Jugendtrainer in den Vereinen haben große Einflussmöglichkeiten auf die Heranwachsenden. Wenn man diese Trainer für politische Probleme sensibilisiert und ihnen Möglichkeiten aufzeigt, rechtsextreme Haltungen frühzeitig zu konterkarieren, ist schon viel gewonnen. Ähnliches gilt auch für Jugendzentren und Jugendclubs, wo das Thema aufkommt.

Akzeptierende Jugendarbeit ist in die Kritik geraten. Nicht zuletzt wegen Fällen, in denen Jugendclubs letztlich von Skinheads dominiert wurden.

Eine Alternative zu integrierenden Ansätzen haben wir aber nicht. Ausgrenzung schafft Märtyrer. Jugendliche sind häufig fasziniert von vermeintlichen Rebellen, die in Konfrontation zum gesellschaftlichen Mainstream stehen. Die Akzeptanz muss dennoch klare Grenzen haben. Es muss Regeln geben: Wenn jemand Springerstiefel und Bomberjacke trägt, sollte das kein Grund sein, eine Auseinandersetzung zu verweigern. Wer jedoch Menschen verbal herabwürdigt, der muss unmissverständlich gezeigt bekommen, dass das nicht geht. Sobald Gewalt ins Spiel kommt, ist die Polizei gefragt - keine falsch verstandene Toleranz.

Mittlerweile geht es ja nicht mehr nur um die Bekehrung versprengter Minderheiten, sondern um einen Wertewandel ganzer Milieus. Welche Ansätze bieten sich denn in den regional zum Teil dominanten rechten Jugendszenen an?

Diese Szenen sind ja beileibe keine heilen Welten, die ihren Anhängern wirklich das bieten, was sie suchen. Ein Beispiel: In rechtsextremen Jugendcliquen sind Mädchen eklatant unterrepräsentiert. Das heißt aber nicht, dass die Jungs nicht Kontakte und Beziehungen mit dem anderen Geschlecht suchen würden - und zwar auch außerhalb der Szene. An diesem Punkt könnte man versuchen, mit den Mädchen zusammenzuarbeiten, um ein Umdenken zu bewirken. In vielen Fällen hat sich gezeigt, dass Radikale, die eine feste Beziehung eingehen, aufhören, radikal zu sein.

Ist ein Verbot der NPD ein wirkungsvoller Schritt bei der Bekämpfung des Rechtsradikalismus?

Die Gefahr besteht auch hier, Solidarität mit vermeintlichen Opfern zu schüren. Organisatorisch wird sich die Partei vermutlich unter einem anderen Deckmantel wieder zusammenfinden. Die großen Gesten gegen Rechtsextremismus haben einen Haken: Sie werten dieses Phänomen unfreiwillig auf und bestätigen die Szene damit indirekt. Sinnvoller ist es, Geld und Arbeit in Projekte zu stecken, die vor Ort und ganz unspektakulär das Bewusstsein vor allem der Jugendlichen schärfen. Das kann in der Disko oder auf dem Sportplatz stattfinden.

Das Gespräch führte Lars Klaaßen


Leserbriefe

  TU intern -
    November 2000


© 11/2000 TU-Pressestelle