TU intern - Oktober 2000 - Rechtsextremismus
"Der Rechtsextremismus ist Teil der Vereinigungskrise"
TU-Professor Wolfgang Benz im Gespräch
Ein erstarkender Rechtsextremismus in Deutschland - dieses Thema
dominiert die politische Debatte seit den Sommermonaten. Die täglichen
Berichte über Mord und Totschlag auf deutschen Straßen
erwecken den Eindruck, insbesondere im Osten der Republik herrsche
die nackte Gewalt. Laut Bundesinnenministerium haben die Landeskriminalämter
im August 1112 rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische
Straftaten registriert. Das beudeutet fast eine Verdoppelung im
Vergleich zu den Monaten Januar bis Juli. TU intern sprach mit
Wolfgang Benz, Professor und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung
der TU Berlin.
Herr Prof. Benz, hatten wir es im Sommer tatsächlich mit
einer neuen Welle der rechten Gewalt zu tun, wie die Medien es
uns suggerierten?
An dem Problem des Rechtsextremismus hat sich seit Hoyerswerda
1993 nichts geändert, wenngleich die Zahl der Übergriffe
stark zugenommen hat. Anders als in diesem Sommer haben die Politiker
die Problematik in den zurückliegenden Jahren kleingeredet.
Das ist das Allerschlimmste, was passieren konnte. Über die
Jahre hat man sich daran gewöhnt, dass der Rechtsextremismus
ohne ernsthafte Gegenwehr die Macht auf den Straßen übernahm.
Wenn sich die Politiker jetzt über die rechte Gewalt empören,
so ist das gut; sie lenken aber auch von ihrer ureigensten Verantwortung
für die jetzige Situation ab.
Sie haben im vergangenen Jahr am Zentrum für Antisemitismusforschung
der TU Berlin die "Arbeitsstelle Jugendgewalt und Rechtsextremismus"
gegründet. Hat die Öffentlichkeit, in erster Linie die
Politik, von Ihrem Beratungsangebot Gebrauch gemacht?
Ich habe seinerzeit für die Gründung der Arbeitsstelle
sehr viel Lob geerntet. Der Senat von Berlin
und die Brandenburgische Landesregierung
haben sich jedoch lange nicht dazu durchringen können, unsere
Arbeit - abgesehen von einer Anschubfinanzierung durch das Brandenburgische Justizministerium
- zu unterstützen. An unserem Angebot einer praxisnahen Politikberatung
schienen Berlin und Brandenburg kein Interesse zu haben. Mitte
September endlich hat der Berliner Senat beschlossen, zusammen
mit dem Land Brandenburg die Arbeitsstelle zu unterstützen.
Wodurch ist der Rechtsextremismus in Deutschland gekennzeichnet?
Der Rechtsextremismus stellt sich gegenwärtig als Einheit
von wenigstens drei Akteursgruppen dar. In der Bevölkerung
sind fremden- und ausländerfeindliche sowie gruppenegoistische
Mentalitäten verbreitet, die als das indifferente oder zustimmende
Umfeld von Diskriminierungen, Bedrohungen und tätlichen Angriffen
auf Fremde anzusehen sind. Parteien und Organisationen bzw. ein
Netzwerk von nicht organisierten politischen Einzelpersonen agieren
als rechtsextreme Ideologen und versuchen, bestehende Ressentiments
und Vorurteile in ihrem Sinne zu politisieren.
Und schließlich: Jugendliche und Heranwachsende in alterstypischen
Peergroups gehören einer rechten Subkultur an, die in weiten
Teilen der neuen Länder als modisch und in gilt. Einschlägige
Musik, ein maskuliner Körperkult und ein martialisches Outfit
sind die Medien, die die verschiedenen lokalen Szenen auch überregional
integrieren. Sie stellen für Ideologen ein Rekrutierungsfeld
und eine der wichtigsten Zielgruppen dar.
Warum ist die Bereitschaft zu rechtsextremer Gewalt gerade
im Osten so hoch?
Der Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern ist Teil
der Vereinigungskrise. Er hat zu tun mit Verlustängsten,
mit sozialem Stress und Frustration. Das Bewusstsein, Deutscher
zweiter Klasse zu sein, weil der Westdeutsche die Meinungsführerschaft
übernommen hat - es geht einfach um die latente Angst, nach
dem Untergang der DDR noch weiter abzustürzen. Kompensiert
wird diese Gefühlslage mit der Stigmatisierung von Minderheiten.
Hinzu kommt eine neue Lust an der Gewalt, die Verrohung der Sitten
als gefährlicher Ausdruck eines Lebensgefühls, das allerdings
nicht auf die neuen Bundesländer beschränkt ist.
Was tun gegen die rechte Gewalt?
Natürlich müssen rechtsextreme Gewalttaten bestraft
werden. Aber das kann nicht die Lösung sein! Was ganz dringend
Not tut, ist eine Demokratisierung des politischen Umfelds, in
dem sich die gewaltbereiten Jugendlichen bewegen. Das ist natürlich
ein Prozess, der einige Jahre dauern wird, aber die Geduld und
Ausdauer müssen wir aufbringen. Was mich an den aufgeregten
Diskussionen in der Öffentlichkeit am meisten verwundert,
ist, dass wir doch hoffentlich über Selbstverständlichkeiten
reden.
Das Gespräch führte Thomas Schulz
Das Zentrum für Antisemitismusforschung hat 1992 einen "Verein
der Freunde und Förderer" gegründet, der die wissenschaftliche
Arbeit des Zentrums finanziell unterstützt.
http://www.tu-berlin.de/~zfa
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