TU intern - Oktober 2000 - Forschung
Ein Prozessfehler brachte die zündende Idee
TU-Wissenschaftler entwickelten neues Schweißverfahren
Mit dem ChopArc beginnt eine neue Zeitrechnung im Schweißen |
Der Volkswagen-Konzern
hat an dem Projekt "Ultraleichtbau" so großes
Interesse, dass er gleich als Kooperationspartner einstieg. Wissenschaftler
vom Fachgebiet Füge- und Beschichtungstechnik,
Fachbereich Maschinenbau und Produktionstechnik,
der TU Berlin entwickelten ein neues Schutzgas-Schweißverfahren:
Sogar 0,2 mm dünnes Feinstblech kann man, wenn das System
ausgereift ist, verschweißen. Das war bislang aus technischen
Gründen nicht möglich. Die Bleche schmolzen einfach
dahin. Sven-Frithjof Goecke und sein Team kamen durch einen Prozessfehler
auf die Idee. Sie ist so vielversprechend, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) drei Millionen Mark Forschungsgelder investieren wird.
Wer kennt nicht die Nachteile des Schweißens: hohe Nachbearbeitungskosten
durch Spritzer, grobe Nahtoberfläche, ungleichmäßigen
Einbrand und starken Verzug? Und an diesen Problemen arbeiteten
die TU-Wissenschaftler ursprünglich. Monatelang standen sie
in ihrem Labor und versuchten etwa die Spritzerbildung zu reduzieren.
Zahlreiche Prozessstörungen ließen einen besonders
frustrierenden Tag erwarten. Der Lichtbogen wurde immer wieder
unterbrochen. Wie sollte man da zu vernünftigen Ergebnissen
kommen?
Da hatten Dipl.-Ing. Sven-Frithjof Goecke und Dr.-Ing. Kaveh Momeni
eine zündende Idee, aus der ein neues Projekt entstand: Vielleicht
ließe sich das Schweißverfahren ja so modifizieren,
dass man durch kontrollierte Lichtbogenunterbrechung den Wärmeeintrag
weit unter bisherige Grenzen reduziert. Und damit beschäftigten
sich die TU-Wissenschaftler weitere Monate - mit Erfolg. Mit einer
neuartigen programmgesteuerten Energiezufuhr ermöglicht das
neue Verfahren einen minimalen Wärmeeintrag im Kurzlichtbogen,
d. h. einen periodischen Wechsel aus Lichtbogen- und Kurzschlussphase.
Mit dem ChopArc, wie das neue Schweißverfahren getauft wurde,
wird es erstmals möglich, die bisherige Blechdickengrenze
beim Schutzgas-Schweißen von 0,5 mm auf 0,2 mm zu verringern.
Zunächst wurde nach einer Analyse des herkömmlichen
MAG-Prozesses eine phasenselektive Stromregelung für die
Kurzschlussphase entwickelt, die wesentliche Vorgänge des
Prozesses erkennt und in jeder Phase nur die jeweils benötigte
Energiezufuhr bereitstellt. Das Problem: Weil der Prozess nur
unregelmäßig ablief, waren sie von einer sauberen Schweißnaht
noch weit entfernt.
In einem weiteren Schritt sollte also eine größere
Regelmäßigkeit des gesamten Prozesses erreicht werden.
Sie versuchten, ein gesteuert definiertes Aufschmelzen des Schweißdrahtes
in der Lichtbogenphase hinzubekommen. Ausgehend von der bekannten
Impulstechnik senkte Sven-Frithjof Goecke zur Reduzierung des
Wärmeeintrags den Lichtbogenstrom von einem Hoch- in einen
niedrigen Basisstrom impulsartig ab. Während im höheren
Niveau ein definiertes Aufschmelzen der Elektrodenspitze erzeugt
wird, soll der Basisstrom auf möglichst "kleiner Flamme"
lediglich ein Erlöschen des Lichtbogens ausschließen.
Hierdurch verbesserte sich die Gleichförmigkeit des Schweißprozesses
ganz erheblich.
Doch der Forscherdrang war noch nicht befriedigt. In einem letzten
Schritt folgte die völlige Abschaltung des niedrigen Basisstroms
nach einer ebenfalls definierten Brenndauer mit anschließendem
Warten bis zum nächsten Kurzschlusseintritt ohne jeden Energieeintrag.
So kann das Schmelzvolumen mit der Hochstromphase definiert eingestellt
und die Kurzschlussfrequenz über die Basisstromphase gesteuert
werden. Durch dieses Choppen des Lichtbogens wird der bisher gekoppelte
Prozess aus Wärmeeintrag und Werkstofftransport quasi entkoppelt.
Das verblüffende Resultat, auch für die TU-Wissenschaftler:
ein so starkes Absenken des Gesamtwärmeeintrags, dass 0,2
mm dünnes Feinstblech problemlos geschweißt werden
kann. Und: Die Schweißnaht kann nun erstmalig gezielt beeinflusst
werden.
Ihr neues Schutzgas-Schweißverfahren stellten die TU-Wissenschaftler
erstmals auf der Hannover-Messe
im Frühjahr dieses Jahres vor. Hieraus ergaben sich zahlreiche
Kontakte, sowohl zu anderen Forschungseinrichtungen als auch zur
Industrie. Sven-Frithjof Goecke hat inzwischen alle an der Weiterentwicklung
seines Systems Interessierten zu einem Konsortium zusammengefasst.
Ziel ist es, das ChopArc-Verfahren bis zur Anwendungsreife zu
bringen.
Zusammen mit dem Volkswagen-Konzern, kleineren und mittleren Berliner
Unternehmen sowie dem TU-Fachgebiet Luftfahrzeugbau und Leichtbau,
Institut für Luft- und Raumfahrt,
wird eine ultraleichte PKW-Bodengruppe entwickelt werden. Das
neue Schutzgas-Schweißverfahren ChopArc ist dabei der Dreh-
und Angelpunkt. Denn: Nur mit diesem Verfahren ist, das erwarten
jedenfalls alle an dem Projekt Beteiligten, der Ultraleichtbau
wirtschaftlich interessant.
Thomas Schulz
Leserbriefe
|