TU intern - Oktober 2000 - Rechtsextremismus

Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus

Auch die Schulen sind gefordert


Wenn Politiker sich in der gegenwärtigen Diskussion über den Rechtsextremismus äußern, ergeht in der Regel an die Schule als Agentur politischer Sozialisation die Aufforderung, sie müsse Jugendliche "gegen Rechts" immun zu machen versuchen, müsse präventiv wirken und dazu beitragen, dass Jugendliche zu mündigen, urteils- und entscheidungsfähigen Staatsbürgern erzogen würden.

Natürlich ist die Schule, wie auch in anderen Zusammenhängen - etwa beim Umweltschutz oder bei der Vermittlung grundlegender menschlicher Tugenden - überfordert, all das zu leisten, wozu die Gesellschaft insgesamt nicht in der Lage ist. Insofern hat sie es schwer, gegen eine soziale, ökonomische und politische Umgebung mit oft fremdenfeindlichen bis rassistischen Tendenzen anzukämpfen. Ein Patentrezept, einen Königsweg gibt es hier nicht, "rechtsimmunes" Verhalten lässt sich nicht wie der Lösungsweg für eine quadratische Gleichung vermitteln.

"Sozialkunde" als Schulfach, das sich inhaltlich mit Fragen des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit auseinandersetzt, ist - ganz im Gegensatz zu den öffentlichen Bekundungen über die große Bedeutung politischer Bildung - kein Fach mit einem angemessenen Stundenvolumen; in Berlin etwa verfügt es in der Sekundarstufe I (7.-10. Klasse) lediglich über 30 Minuten (!) pro Woche. Der Anspruch an die Schule bleibt, den Schülern ein "Haus des Lernens" zu schaffen, in dem Schülerinnen und Schüler nicht nur Fakten und Informationen abprüfbar verarbeiten, sondern als Widerpart zum sozialdarwinistischen Mainstream Geborgenheit, Nähe und so etwas wie "Heimat" erfahren können. Aufklärung allein - etwa über Nationalsozialismus und Holocaust - hilft nicht, wenn nicht ein schulisches Gesamtethos, ein Schulklima existiert, das vom Dialog zwischen den Generationen geprägt ist. Lehrerinnen und Lehrer leben vor, wie respektvolles Miteinander, wie das Gespräch mit denen gesucht werden muss, die durch "maskulinen Körperkult und martialisches Outfit", wie Wolfgang Benz es formuliert, auffallen und provozieren wollen.

Jugendliche weder in die Opferrolle zu drängen, noch den Dialog zu beenden oder die Sachautorität durch die Amtsautorität zu ersetzen hat sich als erfolgreich erwiesen. Sie sonnen sich nur zu gern in der Aufmerksamkeit, die ihren Parolen unbewusst entgegengebracht wird, ob in der Öffentlichkeit mit "Sieg Heil-Parolen" oder in der Schule durch die Störung und den Abbruch des Dialogs. Dieses Beispiel "sekundärer Prävention" führt zur Forderung nach mehr Sozialpädagogik, aber vor allem danach, dass in unsere Schulen gegen völlig überladene Curricula wieder Muße einkehren muss, die Raum gewährt zur Entwicklung von Ich-Stärke, Empathiefähigkeit oder Ambiguitätstoleranz als der Fähigkeit, nicht eindeutige, fremde und neue Situationen ertragen und ausbalancieren zu können. Eine in diesem Sinne "gute Schule", in der vor allem auch das Maß schulisch verantworteter Gewaltbelastung gering ist, verspricht wirksamere Rechtsextremismusprävention als ein "verordneter Anti-Rechtsextremismus".

Prof. Dr. Hanns-Fred Rathenow

Hanns-Fred Rathenow hat gemeinsam mit Annette Brinkmann, Annegret Ehmann, Sybil Milton und Regina Wyrwoll den Band "Lernen aus der Geschichte. Projekte zu Nationalsozialismus und Holocaust in Schule und Jugendarbeit" herausgegeben. Er ist beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung erhältlich.


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