TU intern - Oktober 2000 - Medien
Das Spiel mit Geschlechterrollen
Wenn Männer als Frauen karikiert werden
In Karikaturen werden häufig männliche Politiker
als Frauen dargestellt. Das satirische Potenzial der Karikatur
ist wohlbekannt. Durch das Zusammenwirken von bildlichem und schriftlichem
Kode können ironische Effekte direkt oder indirekt bewirkt
werden. Auch Geschlechterbilder (Stereotype) und ihre satirischen
Zerrbilder finden ihren Platz auf der Palette der Karikatur. Dagmar
Schmauks und Mihály Riszovannij von der Arbeitsstelle für Semiotik
der TU Berlin sind dem Geschlechtswechsel in der Karikatur einmal
nachgegangen. Der folgende Beitrag ist eine gekürzte Fassung
ihres Textes in der "Zeitschrift für Semiotik",
Heft 21, 2-3 (1999). Die Karikaturen sind ebenfalls dort entnommen.
Haitzinger: "Nicht ganz so eng, mon chéri, James ist
schon wieder eifersüchtig." |
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Neben persönlichen, ethnischen, politischen und anderen Eigenschaften
kann die geschlechtliche Zugehörigkeit der abgebildeten Person
und das Spiel mit den Geschlechterrollen zum Ausgangspunkt der
ironischen Wirkung werden. Da diese Rollen kulturell einen zentralen
Platz einnehmen, ist das Spiel mit ihnen besonders wirksam und
erfährt eine Zuspitzung, wenn eine Person in Gestalt des
jeweils anderen Geschlechts erscheint.
Einen Mann als Frau darzustellen, ist vor allem vor dem Hintergrund
einer chauvinistischen Weltsicht kompromittierend, in der Männer
stark sind und die Weltgeschichte lenken, während die schwachen
Frauen nur passiv ihr Schicksal erleiden können.
Die politische Karikatur soll unterhalten, aber auch bissig sein,
so dass das von ihr evozierte Lachen mehrere Funktionen hat. Bei
den Geschlechterbildern ist dies besonders gut zu beobachten,
denn Rollen, Rollentausch und dessen Grenzen sind normierte Phänomene.
Es gibt Bereiche und Situationen, in denen die Grenzüberschreitung
der Norm entspricht und dadurch erlaubt ist - in diesem Fall werden
die Abbildungen lediglich belächelt. In Kriegen, Revolutionen
und anderen Konflikten hingegen wird die symbolische Bekämpfung
der Darstellungsgegenstände zur wichtigsten Funktion satirischer
Bilder.
SPOTTOBJEKT POLITIKER
Hachfeld: Marianne et Germania |
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Politiker und sonstige Personen des öffentlichen Lebens sind
beliebte Spottobjekte, und neben ihrer ewigen Rolle im politischen
Witz werden sie situationsgemäß in der Karikatur behandelt,
auch in Form einer "Geschlechtsumwandlung". Hierbei
soll einerseits ihre Identität und Situation erkennbar bleiben,
andererseits wird eine treffende ironische Wirkung erzielt.
Die Paar- und manchmal sogar Hochzeitsmetapher ist ein beliebtes
Darstellungsmittel, wenn zwei Staaten oder Parteien sich einander
annähern oder miteinander verbünden. Sofern beide Vertreter
im wahren Leben männlich sind, muss einer in der Karikatur
die Rolle der Braut übernehmen. Manchmal ist es der Vertreter
der schwächeren Seite, etwa der Präsident des kleineren
Landes oder der kleineren Koalitionspartei, manchmal legen die
nationalen Personifizierungen von vornherein eine bestimmte Rollenverteilung
nahe.
Ein gut belegtes Beispiel ist die Geschichte der deutsch-französischen
Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Fast alle bedeutenden
Staatspräsidenten und Bundeskanzler wurden mit ihrem jeweiligen
Konterpart als Paar dargestellt. In den 50er Jahren kommen die
ehemaligen Erbfeinde einander näher, da sie jetzt als Hauptinitiatoren
der Montanunion zusammenarbeiten. Eine bildliche Umsetzung dieses
Umschwungs ist das verliebte Turteln von Konrad Adenauer mit Robert
Schuman, der als Frau zugleich Marianne als Verkörperung
Frankreichs darstellt. Die Beziehung verbessert sich weiter -
visualisiert durch den Tango von Schmidt und Giscard d'Estaing
- und weckt dadurch die Eifersucht Großbritanniens. Auch
hier werden aus den dargestellten Zeichensystemen wieder solche
Einzelzeichen gewählt, die als "besonders weiblich"
gelten: kurvige Figur, Abendkleid, hochhackige Schuhe und eine
Rose als Haarschmuck. Ebenfalls in diesen Kontext gehört
der Pas de deux von Kohl und Mitterrand, obwohl hier beide Politiker
- den nationalen Symbolfiguren entsprechend - als Frauen auftreten.
Karikaturen, die sich des Spiels mit Geschlechterrollen und -bildern
bedienen, werden insbesondere dort benutzt, wo zementierte Rollen
ihnen Angriffsflächen bieten - jede Grenzverletzung gilt
nun als Normüberschreitung und kann das bei der Bildsatire
unerlässliche Lachen hervorrufen.
Leserbriefe
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