Die neue TU, Sonderausgabe der TU intern - Forschung

Feinarbeit am wissenschaftlichen Profil

Die Berufungspolitik der TU Berlin steht vor großen Aufgaben

"Wir müssen noch mehr Headhunting betreiben. Wir wollen eine junge Universität werden."
Prof. Dr. Kurt Kutzler, 1. Vizepräsident und stellvertretender Präsident der TU Berlin

Prof. Dr. Kurt Kutzler, 1. Vizepräsident der TU Berlin, beschreibt im Gespräch mit der TU intern die Ziele und Aufgaben der künftigen Berufungspolitik und welche Vorteile die Berufung junger Wissenschaftler gegenüber der von bereits etablierten Hochschullehrern, so genannten "Leuchttürmen", hat.

Was bedeutet Berufungspolitik für das Profil einer Universität?

Das wissenschaftliche Profil einer Hochschule ist mit einer Skulptur vergleichbar. Ausstattungs- und Entwicklungspläne sind die Grobwerkzeuge, mit denen die Umrisse gestaltet werden. Die Berufungspolitik ist das Mittel zur Feinarbeit am Profil, das durch die neuberufenen Professoren geprägt wird. Von ihren wissenschaftlichen Aktivitäten hängt die künftige Attraktivität der TU ab.

Was kann die TU Berlin in Zeiten der knappen Kassen qualifizierten Wissenschaftlern bieten?

Wir müssen unsere Mittel in Schwerpunkten konzentrieren, die breite Fächerpalette von früher wird es nicht mehr geben. Auch werden sich nicht alle Ausstattungsträume verwirklichen lassen. Es ist erklärtes Ziel, vor allem junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu berufen, die mit einem ehrgeizigen wissenschaftlichen Programm den Biss verbinden, einen Großteil ihrer Mittel von außen einzuwerben. Viele der heutigen Leistungsträger der TU sind jung berufen worden, haben in der Regel keine exorbitanten Investitionen gefordert und die entsprechenden Fachgebiete von Anfang an aufgebaut. In Zukunft heißt Berufungspolitik, noch mehr als bisher unter dem Nachwuchs die Fähigsten herauszusuchen. Wir müssen noch mehr Headhunting betreiben. Wir wollen eine junge Universität werden.

Dann unterstützen Sie sicherlich auch die sogenannten "Junior-Professuren".

Indem wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Zuge kommen lassen, die noch nicht habilitiert haben, geben wir einerseits dem Nachwuchs frühzeitig eine Chance, selbständig zu arbeiten, und können andererseits frühzeitig unsere eigene Basis verstärken. Ich befürworte aus eigener positiver Erfahrung die frühe wissenschaftliche Selbständigkeit unseres qualifizierten Nachwuchses. Allerdings - wer selbständig forschen will, braucht eine Ausstattung. Wie die über die Ausstattung hinaus finanziert werden soll, die wir in den nächsten vier Jahren für 150 wiederzubesetzende Professuren benötigen, ist die große Frage. Unsere Bemühungen werden sich dennoch auf einen "Topf" konzentrieren, aus dem wir über Zielvereinbarungen den Nachwuchs unterstützen.

Wo liegen die Ziele und Schwerpunkte der Berufungspolitik?

Die Universität muss zunächst dafür sorgen, dass sie im Rahmen ihrer Entwicklungspläne überhaupt arbeitsfähig bleibt. Bis Ende 2004 ist etwa die Hälfte der noch verbliebenen Professorenstellen wiederzubesetzen. Zunächst und grundsätzlich muß mehr als ein qualitativ akzeptables Lehrangebot für unsere Studierenden sichergestellt werden. Ferner hat die TU für sich in Anlehnung an die Technologiefelder des Landes eine Reihe von Forschungsschwerpunkten als künftige "Centers of Excellence" definiert, die nun durch gezielte Berufungen entwickelt beziehungsweise gestärkt werden müssen.

Welche Probleme gibt es dabei?

Geldprobleme! Wenn man jede der 150 neu zu besetzenden Professuren mit einem Investitionsbedarf von rund 500000 Mark ansetzt, summiert sich das allein bei den Berufungen in den nächsten 5 Jahren auf etwa 75 Millionen Mark. Wenn wir dann noch davon ausgehen, dass einige unserer Professoren so begehrt sind, dass sie von anderen Universitäten gerufen werden, dann bedeutet das rund 175 Berufungsverhandlungen, für die wir die Mittel so nicht haben. Externe Mittel in Form von Stiftungen zu erschließen, "Tafelsilber" (Immobilien) zu verkaufen, eventuell auch Kredite aufzunehmen, wird Bestandteil der Berufungs- und Finanzpolitik in den nächsten Jahren sein. Sie setzt als Basis eine mittelfristige Finanzplanung der Universität voraus. Wir sind allerdings angesichts der desolaten Finanzlage des Landes und der kurzen, verbleibenden Laufzeit der geltenden Hochschulverträge noch weit davon entfernt, hierfür belastbare Rahmendaten aufzustellen.

Wäre das Problem behoben, wenn die frei werdenden 150 Sollstellen nicht neu besetzt und somit nicht neu ausgestattet werden müssten?

Nein, denn dann würde die Universität in praktisch allen Bereichen funktionsunfähig. Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass die verbleibenden 180 Professoren an der TU Berlin natürlich auch Investitionsbedarf haben, weil sie ihre Ausstattung pflegen und reinvestieren müssen. Die Gesamtinvestitionen für Geräte betragen in diesem Jahr rund 9 Millionen Mark, die Bauinvestitionen belaufen sich auf 11 Millionen Mark. Das reicht für die Fachgebiete weder zum Leben noch zum Sterben. Viele halten sich nur durch Drittmittel über Wasser, aber es knirscht an allen Ecken und Enden. Die künftigen Fakultäten, die bei Wiederbesetzungen von Fachgebieten die Hälfte der Neuinvestitionen selbst zu finanzieren haben, müssen ihre Mittel komplett für Berufungen zurücklegen. Das darf eigentlich nicht sein, aber anders können wir nicht arbeitsfähig bleiben.

Noch bis vor einem Jahr waren oft Stellen sehr lange unbesetzt, weil die Berufungsverfahren nicht vorankamen. Wie wurde dieses Problem gelöst?

Uns fehlte über lange Zeit ein Ausstattungsplan, der an die reduzierten finanziellen Rahmenbedingungen angepaßt war. Deshalb konnten wir bis 1998 bei vakanten Professuren häufig nicht entscheiden, ob die entsprechende Stelle auch künftig im Sollstellenplan zu führen ist oder nicht, weil durch eine nicht absehbare Haushaltssituation das Volumen des Sollstellenplans nicht festgelegt war. Also wurden nur die dringendsten Stellen neu besetzt. Aufgrund der Berliner Finanzlage haben wir seit Anfang der 90er Jahre die Ausstattung von 580 Professuren auf 335 reduziert.

Ein weiterer Grund ist die Dauer von Berufungsverhandlungen, die sich nicht zuletzt durch die Bleibeverhandlungen des Berufenen in seiner Heimatuniversität und/oder spezielle Ausstattungswünsche über eine lange Zeit erstrecken können.

Die dritte Ursache lag in der Blockade der Freigabe bestimmter Stellen durch die Wissenschaftsverwaltung, die wir im vergangenen Sommer in einer Verhandlung aufgelöst haben. Allerdings gibt es neue Blockaden unter dem Aspekt "Empfehlungen des Wissenschaftsrates".

Wie kommen diese Blockaden zustande?

Ein Beispiel: Der Wissenschaftsrat hat klare Vorstellungen geäußert, welches Profil die TU Berlin zukünftig in den Geschichts- und Wirtschaftswissenschaften haben soll. Solange nicht entschieden ist, wie Berlin mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates umgehen wird, wird es schwer sein, die Professuren in diesen Bereichen zur Besetzung freizubekommen.

In welchen Bereichen war das Gutachten denn hilfreich?

Ich will hier nicht fragen, ob es sinnvoll war, den Wissenschaftsrat zur Struktur der Berliner Hochschullandschaft zu konsultieren, nachdem man mit den Hochschulverträgen zu marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen übergegangen war und die Universitätsreform mit mehr Autonomie auf den Weg bringen wollte. Der Wissenschaftsrat hat uns nichts gesagt, was wir nicht schon vorher wußten. Das, was sinnvoll ist und wir folglich akzeptieren, wussten wir schon. Daran wird ohnehin schon gearbeitet. Ansonsten kann ich nur auf die Erklärungen des Präsidenten in diesen Punkten verweisen und auf den Kommentar in der Berliner Zeitung, wo ja geschrieben wurde: Der Präsident hat generell die Ausführungen des Wissenschaftsrates begrüßt, um sie dann im einzelnen zu widerlegen.

Das Gespräch führten Mirjam Kaplow und Lars Klaaßen


Leserbriefe

  Die neue TU -
           Juni 2000


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