TU intern - April 2001 - Menschen
Verstorben:
Erich Kähler - Mathematiker von Weltrang
Am 31. Mai 2000 verstarb im Alter von 94 Jahren Erich Kähler,
von 1958 bis 1964 Ordinarius für Mathematik und anschließend
Honorarprofessor an der TU Berlin. Kähler war ein Mathematiker
von weltweiter Geltung und Gelehrter im Sinne der Humboldtschen
universitas litterarum.
Erich Kähler wurde am 16. Januar 1906 in Leipzig geboren.
Er promovierte dort 1928. 1930 habilitierte er sich in Hamburg.
1931/32 war er Rockefeller-Stipendiat in Rom; 1935 ging er nach
Königsberg, wo er 1936, also mit 30 Jahren, zum ordentlichen
Professor ernannt wurde. Nach einer durch Krieg und Gefangenschaft
bedingten Unterbrechung von 1939 bis 1947 kehrte er 1948 wieder
an die Universität zurück. Er war zunächst bis
1958 in Leipzig, dann bis 1964 an der TU Berlin. 1964 wurde er
nach Hamburg berufen, er lehrte aber als Honorarprofessor noch
weiter in Berlin. Kähler war seit 1949 Mitglied der Sächsischen
Akademie der Wissenschaften, seit 1962 der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina
sowie der italienischen Accademia Nazionale dei Lincei und seit
1955 der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, an der er noch
1986, am Tage seines 80. Geburtstages, kurz vor deren Auflösung
einen Vortrag hielt.
Nach ersten Beiträgen zur Funktionentheorie und zu Differentialgleichungen
erschien 1933 eine Arbeit, die seinen Namen in Zusammenhang mit
den Begriffen Kähler-Metrik und Kählersche Mannigfaltigkeiten
zu einem der meistgenannten in der mathematischen Physik macht.
Schon vor dem Kriege war ihm die Einbeziehung der Arithmetik in
die mathematische Physik als Grundzug eines Programms vor Augen,
das dann 1958, also etwa zu Beginn seiner Berliner Zeit, als sein
Hauptwerk in der Form der "Geometria Aritmetica" erschien.
Hier werden die Arithmetik und große Teile der Geometrie
und Analysis auf ein gemeinsames neues Fundament gestellt. Er
stellte die darin enthaltenen Ideen in Leipzig, Berlin und Hamburg
in bis zu achtsemestrigen Vorlesungszyklen vor. Kählers Name
ist mit der Ausformung des Differentialformenkalküls verbunden.
Schon 1937 verwandte Kähler den Differentialformenkalkül
zur Formulierung der Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik
und dann in seiner Berliner Zeit zur Analyse der Diracschen Gleichung
des Elektrons, indem er dem so genannten äußeren ein
"inneres Kalkül" an die Seite stellte. Dies belegt
den Einfluss der Wechselwirkung von Mathematik und Physik auf
Kählers Werk. Sein Interesse galt vermehrt den Beziehungen
zu Philosophie und Biologie. Er war ein profunder Kenner der Werke
von Plato, Schopenhauer, Nietzsche und vor allem Leibniz, dessen
Monadologie er in seine Mathematik integrierte. Darüber hinaus
bezog er indische und chinesische Philosophie in sein Denksystem
ein und studierte dazu sehr ernsthaft Chinesisch und Sanskrit.
Kähler sprach Italienisch und Französisch - Latein,
Griechisch, Russisch und Englisch waren ihm zugänglich. Aus
diesen Studien entstanden die Vorlesung »Mathematik als Sprache
und Schrift« und mehrere Veröffentlichungen. Bis zuletzt
propagierte er die Idee eines absoluten Raumes. Noch ein Jahr
vor seinem Tod feilte er an einem Text, dessen Titel "Vom
Relativen zum Absoluten" als Motto seines Werkes dienen könnte.
R. Berndt/O. Riemenschneider
Leserbriefe
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