TU intern - Dezember 2001 - Aktuelles
Nachgefragt
Braucht Deutschland eine Green Card für Pflegekräfte?
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Die traditionellen
Pflegedienste sind häufig zu teuer und ihre Kapazitäten
nicht selten ausgelastet.
Jonas Schreyögg |
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Nach der Green Card für Computerspezialisten soll nun
die Green Card für Pflegekräfte kommen. Schon im Januar,
so plant es Bundesarbeitsminister Walter Riester, sollen Pflegekräfte
aus Tschechien und Polen legal nach Deutschland kommen und bis zu
drei Jahre arbeiten können. Nach Schätzungen soll es in
Deutschland bis zu 50000 ausländische Schwarzarbeiter im Pflegesektor
geben. Durch die Green Cards sollen nun diese Arbeitsverhältnisse
legalisiert und sozialversicherungspflichtig werden. TU intern befragte
Dipl.-Kfm. Jonas Schreyögg, wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Fachgebiet für
Finanzwissenschaft und Gesundheitsökonomie des Instituts
für Volkswirtschaftslehre der TU Berlin, ob diese Initiative
sinnvoll ist und welche Auswirkungen sie auf den deutschen Arbeitsmarkt
in diesem Bereich haben wird.
Halten Sie eine Green Card für Plegekräfte,
wie sie der Bundesarbeitsminister vorschlägt, für sinnvoll
und notwendig?
Dieser Vorschlag ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass momentan
in vielen Haushalten illegale Pflegekräfte aus Osteuropa in
Schwarzarbeit beschäftigt werden, die dann legale Arbeitsverhältnisse
anstreben könnten. Die traditionellen Pflegedienste sind für
diese Tätigkeiten häufig zu teuer und ihre Kapazitäten
nicht selten ausgelastet. In dieser Situation erscheint es daher
kurzfristig durchaus sinnvoll, Green Cards zu vergeben.
Kann diese Maßnahme tatsächlich zur Reduktion der
Schwarzarbeit in diesem Bereich beitragen?
Bei Vergabe von Green Cards würden voraussichtlich
viele der derzeitigen Schwarzarbeiter eine solche in Anspruch nehmen,
da sie auch trotz Zahlung von Steuer- und Sozialabgaben in ihrer
Marktstellung wenig beeinträchtigt werden. Wie auch bei anderen
Arbeiten im häuslichen Bereich, z. B. bei Handwerkern, ist
jedoch eine gewisse Anzahl an Schwarzarbeitern kaum
zu verhindern.
Müssen die vorhandenen deutschen Arbeitskräfte befürchten,
von den womöglich billigeren ausländischen Kräften
verdrängt zu werden?
Da Sie primär ergänzende Tätigkeiten verrichten,
werden die potenziellen Green Card-Empfängerinnen
und Empfänger eher nicht als Konkurrenz für die traditionellen
ambulanten Pflegedienste gesehen. In diesem Sinne sind sie in einem
anderen Segment des Marktes tätig, daher ist es eher unwahrscheinlich,
dass deutsche Arbeitskräfte verdrängt werden.
Wie wird sich die Green Card auf das Lohnniveau
in der Branche auswirken?
Da die ausländischen Pflegekräfte ihre Green Card
nur für den Bereich der ergänzenden Pflege erhielten,
sind Auswirkungen auf den Lohn der gesamten Pflegebranche unwahrscheinlich.
Außerdem wird im Zuge der demographischen Entwicklung die
Nachfrage nach Pflegekräften auch in nächster Zeit enorm
steigen, sodass auch deshalb ein Absinken des Lohnes nicht zu erwarten
ist.
Warum gibt es in diesem Bereich nicht genügend deutsche
Arbeitskräfte?
Der Beruf der Pflegerin bzw. Pflegers ist aus diversen Gründen
für viele Deutsche nicht attraktiv. Neben den starken psychischen
und physischen Belastungen sind die Arbeitszeiten mit Früh-,
Spät- und Nachtschichten für viele abschreckend. Hinzu
kommt, dass die Vergütung, gemessen an der Schwere der Aufgaben
und der Verantwortung relativ gering ist und die Aufstiegschancen
sehr begrenzt sind. Auch die strikte Hierarchie zwischen Arzt -
Stationsschwester/-pfleger - Schwester/Pfleger im Krankenhaus trägt
nicht gerade zur Attraktivität dieses Berufes bei.
Durch welche Maßnahmen könnte dieser Mangel behoben
werden?
Zum einen ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für
ambulante und stationäre Pflegekräfte anzustreben. Zum
anderen müssen aber die Strukturen des Gesundheitswesens generell
reformiert werden, sodass Pflegekräfte im Gesamtgefüge
einen höheren Status und eine adäquatere Bezahlung erhalten.
Wie wird sich der Pflegekräftebedarf in den nächsten
Jahren entwickeln?
Aufgrund der Alterung der deutschen Bevölkerung wird die Nachfrage
nach Pflegeleistungen in den nächsten Jahren enorm steigen.
In einer aktuellen Studie prognostiziert das Deutschen Institut
für Wirtschaftsforschung (DIW) einen Anstieg der Pflegebedürftigen
von 1,93 Millionen (1999) auf 2,94 Millionen (2020). Der zusätzliche
Bedarf an Pflegekräften wird bis 2020 auf 160000 und bis 2050
auf weitere 280000 Personen geschätzt.
Leserbriefe
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